2 THEMEN DES TAGES /POLITIK Freude über Geiselbefreiung, aber Kritik am Einsatz Krieg Einsatzkräfte holen drei Männer undeineFraugesund ausdem Gazastreifenheraus. Beider Aktion unterBeschussder Hamas sollen mehr als 270Palästinensergetötet worden sein. Leitartikel StefanKegel zu den Ukraine-Konferenzen Hilflose Versuche Frieden für die Ukraine, Wiederaufbau gar –die bevorstehende Woche steht im Zeichen zweier internationaler Konferenzen, die sich diesen beiden Zielen verschrieben haben. Gibt es also Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Konflikts? Die Antwort ist sotraurig wie eindeutig. Zwar wird eine Reihe wohlmeinender Länder über eine Beendigung des Krieges sinnieren und darüber, wie man die Ukraine wirtschaftlich unterstützen kann. Zur Lösung des eigentlichen Konflikts jedoch werden beide nichts beitragen. Und das ist ein Problem. In Berlin tagt die seit Kriegsbeginn jährlich stattfindende Ukraine-Wiederaufbaukonferenz. Das Programm liest sich fast so, als befände sich die Ukraine nicht mehr im Krieg und müsste nur noch aufgebaut werden. Auf der Tagesordnung stehen neben Hilfszusagen für die Reparatur zerstörter Kraftwerke, dem Wiederaufbau von Kindergärten oder Werbung um Investitionen in die ukrainische Wirtschaft auch Bildung, der Kampf gegen Bestechung oder die Integration von Veteranen. Die Konferenz ähnelt einer Wette auf die Zukunft. Für den Durchhaltewillen der Ukrainer dürfte sie jedoch eine enorme Rolle spielen. Das merkt man auch daran, dass Präsident Wolodymyr Selenskyi eigens nach Berlin reist und vor dem Bundestag sprechen wird. Auf dem schweizerischen Bürgenstock findet danach eine „Konferenz zum Frieden in der Ukraine“ statt. Das Treffen wurde mit großen Ambitionen geplant; die neutrale Schweiz sah sich als optimalen Ort, um in dem Konflikt zuvermitteln. Allerdings dürfte sich dieser Versuch sehr einseitig gestalten. Russland wurde zu der Tagung nicht einmal eingeladen. Und seine wichtigsten Unterstützer haben abgesagt, weil erkennbar statt Kommentar Guido Bohsem zurPraxisgebühr Karikatur: Klaus Stuttmann einer Kompromisssuche die Anti- Russland-Front gestärkt werden soll. China zum Beispiel, das einzige Land, dem zugetraut wird, auf Moskau nachhaltig Einfluss nehmen zu können, ist nicht dabei. Kein Wunder also, dass die Erwartungen inzwischen gedämpft wurden. Man mag den Veranstaltern Unrecht tun, aber die Tagung wirkt wie eine Alibi-Veranstaltung, die diejenigen besänftigen soll, die sich beschweren, dass gar nicht mehr über einen möglichen Frieden geredet wird. Pflöcke schlagen die G7 ein, die sich zwischen beiden Konferenzen treffen und unter denen auch die Führungsnationen der Nato sind. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigt die Lieferung von Mirage-Jets für die Ukraine an, US-Präsident Joe Biden die Versorgung mit Munition. Und auch die Pläne, Militärausbilder der Nato in die Ukraine zu schicken, nehmen immer mehr Gestalt an. Die hilflos wirkenden Versuche, so etwas wie Normalität oder gar Frieden zu erörtern, stehen im Kontrast mit einer wachsenden Intensität, den Krieg militärisch zu entscheiden, von beiden Seiten –auch Russlands Offensive inder Ostukraine läuft weiter. Und während in Berlin und Bürgenstock über einen Frieden nachgedacht wird, droht die Nato Stück für Stück, unmerklich fast, indiesen Konflikt hineinzurutschen, aus dem sich herauszuhalten sie immer gelobt hatte. leitartikel@swp.de Die falscheMedizin Die Nato droht Stück für Stück, unmerklich fast,in diesen Konflikt hineinzurutschen. Nach langen guten Jahren für das deutsche Gesundheitssystem stellte sich zuletzt immer häufiger die Frage: Wer soll das noch alles bezahlen? Im internationalen Vergleich kostet die Versorgung der Patienten in Deutschland überdurchschnittlich viel. Nimmt man die Lebenserwartung als Gradmesser für die Qualität des Gesundheitswesens, kommt man ebenfalls ins Grübeln. Seit Ende der 2000er Jahr steigt sie deutlich langsamer an als früher, durch Corona und Grippewellen sank sie sogar zwischenzeitlich. Es müsste also beides gelingen, den Kostenanstieg zu dämpfen und die Qualität des Systems zu verbessern. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dazu sehr viele Bälle inder Luft, einen Überblick über die Zahl der von ihm angekündigten und angegangenen Gesetzesvorhaben dürften allenfalls noch ausgewiesene Experten der Gesundheitspolitik haben. Ein Vorschlag, eine härtere Variante der Praxisgebühr einzuführen, um die Arztbesuche teurer zu machen und deren Zahl so zu senken, fällt deshalb auch auf fruchtbaren Boden. Wären bei jedem Kontakt zueinem Arzt, Zahnarzt oder in der Notaufnahme 15 Euro fällig, würden sehr viele ganz genau überlegen, ob sie zum Arzt gehen oder lieber noch ein paar Tage warten. Auf den ersten Blick schlüssig, es wäre aber auch ein Ansatz, der auf breite Ablehnung stoßen würde. So merkwürdig das zunächst klingt, wer die Ärzte wirklich entlasten will, sollte ihnen stattdessen Kompetenzen nehmen. Denn die hohe Zahl der Arztkontakte kommt hierzulande auch deshalb zustande, weil die Mitarbeiter in den Praxen sehr viel weniger dürfen als in anderen Ländern und fast immer der Mediziner persönlich zur Tatschreiten muss. Aufeiner Wand werden die Porträts dervier befreiten Geiseln gezeigt. Demonstranten fordern in Tel Aviv vonder israelischenRegierungdie Befreiung aller Geiseln. Foto:J. Guez/afp STICHWORT THEMA TelAviv. Die Befreiung von vier Hamas-Geiseln imGazastreifen durch israelische Spezialkräfte sorgt für Freude und Erleichterung. Wiedie Armee am Samstag mitteilte, wurden dieGeiseln „im Rahmen einerkomplexen Operation“ derStreitkräfte,des Inlandsgeheimdienstes ShinBet undder Yamam-Einheit der israelischen Polizei in der Flüchtlingssiedlung Nuseirat gerettet. Die Geiseln Noa Argamani (25), Almog Meir (21), Andrey Kozlov (27) und Shlomi Ziv (40) waren bei dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen entführt worden. Ihr Gesundheitszustand sei stabil, hieß es. Für weitereUntersuchungen seien sie in ein Gesundheitszentrum gebracht worden. Berlin. Die Kosten im Gesundheitssystem steigen weiter. Für Ende desJahres erwartet die Bundesbank ein Defizit von etwa sechsMilliarden Euro.Die Rücklagen seien dann aufgebraucht. Deshalb wird miteinem erneuten Anstieg derBeiträgeumbis zu 0,5 Prozentpunkten gerechnet. Erste Experten fordern auch deshalb die Rückkehr der Praxisgebühr. Warum kommt die Diskussion wiederauf? Neben dermangelhaften Finanzierung leidet das Gesundheitswesen daran, dass die Patienten zu oft zum Arzt gehen. Deutschland liegt laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit durchschnittlich 9,6 Arztkontaktendeutlich über dem europäischen Durchschnitt. In Schweden sehen Patienten ihren Doktor durchschnittlich 2,3-mal im Jahr.Das verursachthoheKosten, führtzueiner hohenArbeitsbelastung derMedizinerund laut OECD auch zu deutlich kürzeren Untersuchungszeiten. Die Wahl im Iran istwegen desUnfalltodesvon Präsident Ebrahim Raisi erforderlich. Raisiwar am 19.Mai bei einem Hubschrauberabsturzums Lebengekommen. Deswegen musstedie ursprünglich für kommendes Jahr geplantePräsidentschaftswahl in der Islamischen Republik vorgezogen werden. Ausden 80 Bewerbern –76Männer und vier Frauen – wählteder vonKonservativen dominierteWächterrat der Verfassung sechs Kandidaten aus. Alseinziger Reformer wurde Massud Peseschkian zugelassen, ein Parlamentarier aus der nordiranischen Großstadt Täbris und ehemaliger Gesundheitsminister. Beider vorherigen Parlamentswahl 2021gewann der ultrakonservativeGeistliche Raisi. DieWahlbeteiligung erreichtedamals mit 48,8 Prozentden niedrigsten Stand seit Gründung der IslamischenRepublikIranimJahr 1979. dpa Was könnte die Gebühr daran ändern? Die Gesundheitsökonomen Christian Hagist und Stefan Fetzer kommen in einem Gutachten im Auftrag „Der Familienunternehmer“ zuder Auffassung, dass eine Kontaktgebühr von 15Euro beim Arzt, Zahnarzt und der Krankenhaus-Notaufnahme die Patienten zumehr Eigenverantwortung und Zurückhaltung motivieren würde. Werdafür bezahlen muss, geht auch weniger zum Arzt, lautet der Grundgedanke. Die beiden Wissenschaftler gehendavon aus, dassdadurch etwa 15 Milliarden Euro zusätzlich in das Gesundheitssystem fließen könnten. Iran Sechs Kandidaten stehen zur Wahl Teheran. Zur iranischen Präsidentschaftswahl Ende Juni sind sechs Kandidaten zugelassen worden, zum größten Teil Konservative. Wiedas InnenministeriuminTeheran am Sonntag mitteilte, dürfen unter anderem der amtierende Vize-Präsident Amir Hossein Ghasisadeh-Haschemi und der ultrakonservative Ex- Atomunterhändler Said Dschalili am 28. Juni antreten. Die Kandidatur von Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschadwurde hingegen abgelehnt. dpa Armeesprecher Daniel Hagari berichtete imisraelischen Fernsehen, beider Operation seiendie Befreier unter Beschuss der Hamas in zwei Einrichtungen in Nuseirat eingedrungen. Wie das der Hamas unterstellte GesundheitsministeriumimGazastreifen Medienberichten vonSonntag zufolge mitteilte, wurden bei dem Angriff auf die Flüchtlingssiedlung mindestens 274 Palästinenser getötet und 698 verletzt, darunter auch Kinder. Ein Yamam- Soldat, der zunächst schwer verletztinein Krankenhaus gebracht worden war, starbnoch am Samstag, wie israelische Medien berichteten. „Wir werden weiterhin alles tun,umdie 120Geiseln, die noch immer in Gaza festgehalten werden, zu befreien“, so Sprecher Hagari. Die Militäroperation im Gazastreifen werdenicht enden, bevor nicht alle Geiseln wieder zuhause sind. Scholz: Zeichen der Hoffnung Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich erfreutüber die Rettungsaktion. „Ein wichtiges Zeichen der Hoffnung –besondersfür die vielenFamilieninIsrael, dienach wie vor um ihre Angehörigen bangen“, schrieberauf der Plattform X. Die Hamas müsse endlich alle Geiseln freilassen. „Der Kriegmussenden.“ Auch US-Präsident Joe Biden, sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron und der britische Premier Rishi Sunak sowie UN-Generalsekretär António Guterres äußerten sich erleichtert über die Befreiungsaktion und forderten die Hamas auf, die übrigen Gefangenen freizulassen. Daneben gab es aber auch scharfe Kritik an Israels Vorgehen und der hohen Zahl palästinensischer Opfer. Der EU-Außenbeauftragte JosepBorrellverband seine Erleichterung über die Geiselbefreiung auf Xmit dem Protest: „Berichte aus Gaza über ein weiteres Massaker anZivilistensind empörend. Wirverurteilen dies auf das Schärfste“. Das ägyptische Außenministerium bezeichnetedie Militäraktion als Verletzung des internationalen Rechts undder Menschenrechte. UN-Sonderberichterstatterin FrancescaAlbanese schriebauf X: „Das ist die Absicht zum Völkermord. Kristallklar.“ kna Kostet der Arztbesuch wieder? Gesundheit DiePraxisgebühr hatkeinen gutenRuf.Sie galt als wenig effektiv undbürokratisch.Jetzt istdie Debatteerneutentbrannt. Wasist mit chronisch Kranken? Der wesentliche Unterschied zur Praxisgebühr vonfrüher ist, dassdie Kontaktgebühr bei jedem Arztbesuch fällig würde und nicht nur einmal im Quartal. Chronisch Kranke und sozial schwache Patienten sollen dahermöglichst davonbefreit werden. Auch Kinder müssen laut Vorschlag nicht zuzahlen. Derzeit sind sieben Prozent der Patientenvon derZuzahlung befreit. Diese Zahl dürfte deutlich steigen, schreiben die Wissenschaftler.Auchsolldie Eigenbeteiligungfür Krankenhausaufenthalte entfallen. Welche Wirkung hattedie Praxisgebühr? Tatsächlich hattedie damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vor, mit der 2004 eingeführten Praxisgebührdie Zahl der Arztkontakte zureduzieren. Anfänglich senkte die Gebühr die Zahl tatsächlich. Dann setzte ein Gewöhnungseffekt ein. Als sie 2012 abgeschafft wurde, standen dieetwazweiMilliarden Euro, die mit dem Instrument proJahreingenommen wurden, im Mittelpunkt der Diskussion. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warschon damalsdagegen. Die Wirkung der Praxisgebühr sei schädlich, weil sie einkommensschwache Gruppen davon abhalte,den Arzt aufzusuchen, andere aber nicht. Guido Bohsem Kommentar Frankreich Macron löst das Parlament auf Paris. Nach dem klaren Sieg der französischen Rechtspopulisten beider Europawahlhat Staatschef Emmanuel Macron die Nationalversammlung aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Die französische Volksvertretung soll bereits am 30. Juni neu gewählt werden. Bei der Europawahl hatte der rechtspopulistische RN Hochrechnungen zufolge etwa 32Prozent der Stimmen errungen, die Liste Renaissance des Regierungslagers nur etwa 15 Prozent. afp
Montag,10. Juni 2024 3 Jubel bei AfDund BSW Europawahl Trotz schwachenWahlkampfes wird die AfDzweitstärkste Krafthinterder Union. Auch das neugegründeteBSW feiert einen Wahlerfolg. LangeGesichter dagegen beiden Grünen. Fünf bundespolitischeLehren. Vonunseren Korrespondenten Auch der Friedenskanzler hat nicht gezogen: Olaf Scholz und seine SPD schneiden bei der Europawahl historisch schlecht ab.Sichbestätigt fühlen kann ausgerechnet die Partei, die zuletzt vor allem mit eigenen Skandalen beschäftigt war und die das heutige Europa abschaffen will. 1Die SPD konnte von der Europawahl ohnehin nicht viel erwarten. Nungelang es nicht einmal, vor der AfD zu liegen. Spitzenkandidatin Katarina Barley begeisterte noch weniger Menschen als der Kanzler. Dennoch war esdie einzige Idee der SPD im Wahlkampf, die beiden auf einem Plakat zu vereinigen. Das eigentliche Ziel aber ist ohnehin die Bundestagswahl 2025. Wie das gelingen soll, war schon jetzt zu besichtigen: Olaf Scholz soll nicht nur der Friedenskanzler sein, sondern auch der Abschiebekanzler undvor allem das personelle Gegenstück zu dem immer malwieder irrlichternden Friedrich Merz. Die Europawahl hatder SPDdabeinicht geholfen. Aber auch nicht sonderlich geschadet. Auf die Koalition als Ganzes dürfte das Wahlergebnis nicht viel Einfluss haben, auch weil die umstrittensten Gesetzesvorhaben weitgehend abgehakt sind. Die Unzufriedenheitder Bevölkerung mit der Ampel sei bei allen Regierungsparteien im Grunde schon eingepreist, meint der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. „Für die Stabilität der Koalition sind die Haushaltsverhandlungen wichtiger als die Europawahl.“ 2Trotz eines völlig missglückten Wahlkampfes, an dessen Ende SpitzenkandidatMaximilianKrahparteiintern mit einem Auftrittsverbot belegt wurde, ist die AfD ein Gewinner der Europawahl. Laut Prognosen legen die Rechten im Vergleich zu den elf Prozent von 2019 und den 10,3 Prozent bei der letzten Bundestagswahl noch einmal deutlich zu. Wie ist das möglich? „Die AfD ist nicht die einzige rechtspopulistische Partei, der Skandale und Verfehlungen von prominenten Persönlichkeiten in der Partei entweder gar nicht oder nur vorübergehend schaden“, sagte Christian Adam dieser Zeitung. Laut dem Politikwissenschaftler der Zeppelin Universität in Friedrichshafen hat das mehrere Gründe. „Wähler mit wenig Vertrauen instaatlicheInstitutionen und Leitmedien zweifeln sicher auch an der Richtigkeit dieser oder ähnlicher Vorwürfe.“ Möglicherweise ein Grund für das starke Ergebnis in Ostdeutschland. 2019 trat die AfD mit dem damaligen Parteichef JörgMeuthenals Spitzenkandidatenan, einem Schwergewicht seiner Partei. Aberdie AfD wird, wie andereRechtspopulisten, „häufig auch nicht wegen ihrer Spitzenkandidatengewählt,sondern aufgrund der programmatischen Ausrichtung dieser Parteien, die sich starkvon den anderenunterscheidet“, sagt Adam. AfD-Chef Tino Chrupalla sagte: „Super Ergebnis. Wir haben 50 Prozent neue Wähler gewonnen.“ 3Immer schon gelten Europawahlen als Stimmungstest für den Bund. Die Folgen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September halten sich nach Juns Meinung jedochin Grenzen: „Ich sehe keine großen Auswirkungen.“ Es gebe nurnoch geringeMöglichkeiten,das Ruder rumzureißen. „Die Grundstimmung wird sich bei keiner Partei wesentlich ändern.“ Damit dürfte es gut laufen für die AfD, die Prognosen zufolge bei der Euro- Erleichterung undFreude bei AmiraMohamed Ali, Parteivorsitzendedes Bündnis SahraWagenknecht (BSW), undFabio De Masi,BSW-Spitzenkandidat zurEuropawahl. Foto:Bernd vonJutrczenka/dpa Fast grenzenlose Begeisterung über das Wahlergebnis bei derAfD:die Ko-VorsitzendenAliceWeidel undTino Chrupalla. Foto:Ralf Hrschberger/afp Wie geht es weiter? Dereuropäische Machtpoker geht jetzt nach der Wahl erst so richtig los. In den nächsten Wochen wird das Spitzenpersonal sortiert. Bis alle Posten besetzt sind, dürfte eshoch hergehen. 17.Juni „Informelles Treffen der EU-Führungsspitzen“. Dabei wirdsondiert, wermit welchem Personalvorschlagwas fürChancen hat. ImTopf sind dabei neben der Kommissionspräsidentin, die aller Voraussicht nach wieder Ursula von der Leyen heißen könnte, viele weitere prestigeträchtigePosten–unter anderem der EU-Ratspräsident, der neue Verteidigungskommissar und der Außenbeauftragte. Am Schluss müssen alle Parteifamilien, alle Länder und alle Geschlechter mit demPaket zufrieden sein. 27.bis 28.Juni EU-Gipfel. Spätestens jetzt solltendie Staats-und Regierungschefs ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten für die Kommissionsspitze offiziell benennen. Dafür ist dieZustimmung von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die für mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen, nötig. 15.Juli Bis zu diesem Tag müssen sich die Abgeordneten des EU-Parlaments zu Fraktionen sortiert und diese beim Parlamentspräsidium angemeldethaben. Nötig sind dafür mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens sieben EU-Staaten. Spannend wird es vor allem auf der ganz rechten Seite: Die ID- Fraktion, zuder etwa die französische Partei RN von Marine Le Pengehört, hatte kürzlich die deutsche AfD ausgeschlossen. Die Frage ist nun, ob und unter welchenBedingungen dasrückgängig gemacht wird.Gleichzeitig ist offen, obdie Annäherung zwischen Le Pen und der italienischenRegierungschefin GiorgiaMeloni, diewiederumzur radikalkonservativenEKR gehört, zurBildungeiner gemeinsamen Rechtsaußen-Fraktion führt. Blickauf das EU-Parlament in Straßburg: Nach der Wahl geht derMachtpoker nunrichtig los. FOTO: SEBASTIEN BOZON/DPA 16.bis 19.Juli Das neue EU-Parlament konstituiert sich. Die 720Abgeordneten wählen dann auch den Parlamentspräsidenten sowie die 14 Vizepräsidenten. Eventuell wird inder Woche auch schon die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident gewählt. Nötig sind mindestens 361 Stimmen der 720 Parlamentarier. Fälltder Kandidatoder die Kandidatin durch, gibt es keine zweiteChance, sondern dieMitgliedstaaten müssen jemand Neues finden. 16.bis 19.September DasEU-Parlament kommt zur ersten Plenartagung nach der Sommerpause zusammen. Biszum Herbst Die nominierten Kommissare müssen sich einem Prüfverfahren im Parlament stellen. Dazu gehört eine dreistündige Befragung vor dem jeweils zuständigen Parlamentsausschuss. Am Schluss stimmt dasParlament über dieKommissionsriege als Ganzes ab. Ernannt werden die Kommissare schließlich von den Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit. 31. Oktober Das Mandat der aktuellen Kommission unter Ursula von der Leyen endet, die neue Mannschaft muss stehen. Ellen Hasenkamp CDU-Chef FriedrichMerzspricht im Konrad-Adenauer-Haus. Julia Klöckner (rechts, CDU), applaudiert. Foto:Fabian Sommer/dpa LangeGesichter bei den Grünen:Ricarda Lang,Terry Reintkeund Omid Nouripour. Foto:Christoph Soeder/dpa pawahl in allen ostdeutschen Ländern vorne lag. Dieernüchternde Niederlagefür die Grünen dürfte nach Einschätzung des Politologen Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel hingegennicht die letzte gewesen sein. Gerade im Osten hat die Partei einen schweren Stand, auch wenn sie versucht, vom reinen Klimaschutz-Image wegzukommen. Doch das Ziel, vor allem inder Familienpolitik zu reüssieren, wurde auch wegen der schlechtenPerformanceder zuständigen Ressortchefin Lisa Paus verfehlt. „Die Kindergrundsicherung ist ein Bürokratiemonster.Damit ist politisch nichts gewonnen“, so Schroeder.Jun hob das Abschneiden des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hervor. Es sei „ein Novum der vergangenen 70 Jahre, dasseine neu gegründetePartei aus dem Stand bundesweit rund fünf Prozent erreicht“. Für die Landtagswahlen sehen die Umfrage zweistellige Ergebnisse voraus, die Mischung aus Friedensforderungen, harscher Asylrhetorikund Sozialpolitik kommt vor allem im Osten an. 4Es sollte Europas „Flug zum Mond“ werden: Das Klimaschutzprogramm der letzten Kommission unter Ursula von der Leyen. Aber auf Wunsch der eigenen Partei musste sie schon imWahlkampf allzu ehrgeizigen Plänen abschwören. Das nachlassende Interesse auch der Wähler lässt sich auch am Ergebnis derGrünenablesen.„2019 war eine Ausnahmesituation. Es gab einen Hype um die Fridaysfor-Future-Bewegung und eine große Sorge um das Klima. Die Grünen waren Hoffnungs- und Sympathieträger und galten als unbescholten“, sagte Politikwissenschaftler Schroeder. Dass sie nun wieder auf ihr Stammklientel reduziert sind, habe mit der Multikrisensituation undder Regierungsbeteiligung im Bund zu tun. Je mehr Klimaschutzmaßnahmen in dieLebenswirklichkeit der Bürger Einzug erhielten, umso größer wurde der Widerstand in der Bevölkerung. „Den Stimmungsumschwung hat das Heizungsgesetz aus dem Hause von Klimaschutzminister Robert Habeck herbeigeführt“, sagte Schroeder. Insbesondere bei den jungen Wählern verlor die Partei dramatisch. 5VonAnfang anhat CDU- Chef Friedrich Merz die Europawahl zumwichtigen Testlauf ausgerufen: Mit der ersten deutschlandweiten Abstimmung seit dem Desaster bei der Bundestagswahl 2021 wollte er das Comeback der Union unter seiner Führung beweisen. Dass Generalsekretär Linnemann das Ergebnis „klasse“ findet, kann nicht verdecken, dass es besser hätte ausfallen können. Ob diese Zahlen ausreichen, Merz schon jetzt die Kanzlerkandidaturzusichern, ist offen. Der nächste Test wartet schon: die Landtagswahlen im September. anb, dgu, dot, eha, igs
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