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4 PORTRÄT Donnerstag, 27. April 2023 Saskia Esken, SPD- Bundesvorsitzende, geht forschen Schritts durch Berlin. Foto: Christophe Gateau/dpa Die Unwahrscheinliche Saskia Esken Als sie SPD-Parteichefin werden wollte, riet ihr mancher Weggefährte, lieber zum Arbeitsamt zu gehen. Doch belächelt wird die Baden-Württembergerin längst nicht mehr – und trifft mit ihrer Digitalkompetenz auch noch den Puls der Zeit. Von André Bochow Es gibt Wörter, die kann Saskia Esken überhaupt nicht leiden. „Ko-Vorsitzende“ ist so eines. „Ich bin die Vorsitzende der SPD“, erklärt sie mit einiger Vehemenz. „Lars Klingbeil ist der Vorsitzende. Und damit hat es sich.“ Dass man die SPD neuerdings „Kanzlerpartei“ nennt, mag sie auch nicht. Aber die Kombination „schwerst mehrfachnormal“ findet sie offensichtlich gut. So als ironischer Kontrapunkt, wenn es um Inklusion geht. Im Lokal „Trattoria degli Amici“, in dem geistig oder körperlich beeinträchtige Menschen Regie führen, verwendet sie die Wortschöpfung. Es ist ein Restaurant im römischen Stadtteil Trastevere. Gegenüber hat die christliche Gemeinschaft Sant’Egidio ihren Sitz. Esken spricht mit deren Präsidenten Cesare Zucconi eher über weltliche Dinge. Über Migranten zum Beispiel. Das liegt der kirchenfernen Sozialdemokratin ohnehin näher als eine Audienz beim Papst. Die Gemeinschaft kümmert sich unter anderem um Konfliktlösungen in Krisengebieten der Welt. „Ach, Frau Merkel war auch hier, als sie nicht mehr Kanzlerin war?“, fragt Esken interessiert. Mit Merkel hat sich Esken schon gut verstanden, als die Sozialdemokratin noch von vielen belächelt wurde und sie unter den eigenen Genossen immer wieder Entsetzen auslöste, wenn sie sich öffentlich äußerte. Wenngleich Esken nicht immer alles gesagt hat, was man ihr unterstellte. Als Merkel jetzt mit dem höchsten Orden der Bundesrepublik bedacht wurde, gehörte Esken zu den Befürwortern der Verleihung und lobte Humor, diplomatisches Geschick und empathische Klugheit der Geehrten. So etwas schätzt die SPD-Vorsitzende nicht nur an der Kanzlerin. Zu Eskens Eigenschaften gehört eine ordentliche Portion Lernfähigkeit. Mittlerweile ist sie als SPD-Chefin ziemlich unangefochten. Alles scheint „schwerst mehrfachnormal“. Als Saskia Esken im Herbst 2019 an die Spitze der SPD rückte, war das nicht voraussehbar. Zusammen mit Norbert Walter-Borjans, den sie damals gar nicht kannte, trat sie an, nicht zuletzt um Olaf Scholz zu verhindern. Das Duo Esken- „NoWaBo“ gewann und sorgte dann entscheidend dafür, dass Scholz Kanzler werden konnte. Als ob das nicht schon unwahrscheinlich genug war, kehrte in die notorisch streitende Partei Ruhe ein. Dass die ehemalige Paketbotin, Kellnerin und Software-Entwicklerin in diesem Jahr in der Karwoche nach Rom reiste, hatte vor allem mit einer italienischen Frau zu tun: Elly Schlein. Wenn Saskia Esken über diese spricht, dann vergisst sie nicht, darauf hinzuweisen, dass auch die Italienerin überraschend an die Parteispitze gekommen ist. Wobei die Wahl der 37-jährigen, bekennenden bisexuellen, sehr linken Politikerin mit jüdischen Wurzeln zur Chefin der Partito Democratico (PD) selbst für italienische Verhältnisse eine Sensation ist. Die Partnerpartei der SPD, gegründet von Christdemokraten und Kommunisten, pflegt die Besonderheit, dass auch Nichtparteimitglieder über die Führung entscheiden dürfen. Eine Million Italiener haben sich im Februar an der Abstimmung beteiligt. Die Partei selbst hat 70 000 Mitglieder. Fasziniert von Elly Schlein Die PD-Zentrale befindet sich in zwei oberen Etagen eines mehrstöckigen Hauses. Vermieter ist der Vatikan. Esken freut sich „riesig“ über die Begegnung, schließlich habe sie nach Schleins Wahlsieg sofort gedacht: „Diese Frau muss ich kennenlernen!“ Und weil „bei uns in der SPD alle Du zueinander sagen“, verleiht sie ihrer Hoffnung Ausdruck, die PD- Chefin ebenfalls duzen zu können. Wer kann da schon „No“ sagen? Elly Schlein erzählt davon, wie sie in Italien, das mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni politisch nach rechts gerückt ist, ihre PD wiederbeleben will und Saskia Esken berichtet, wie das mit der Wiederbelebung der SPD schon gelungen sei. Auf Instagram schreibt Esken später an Schlein: „Ich kann mich gut erinnern, wie aufregend, aber auch aufreibend die Anfangszeit als neue Parteivorsitzende ist. Du wirst diese Zeit nie vergessen.“ Weil die SPD in Deutschland bereits regiert, kann Saskia Esken sich dort verstärkt den von ihr favorisierten Themen widmen. „Ja und ja“ hat Esken noch vor einem Jahr im Interview mit dieser Zeitung geantwortet, als sie gefragt wurde, ob sie hin wieder unterschätzt werde, und ob sie das gelegentlich nutze, um politische Ziele zu erreichen. Inzwischen nimmt man sie ernst. Zum Beispiel, wenn sie ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bildung fordert. Allein 50 Milliarden werden für die Sanierung der Schulen gebraucht, sagt sie. Aber nicht einmal die Tatsache, dass sie ein Auto- Fan ist, wird dafür sorgen, dass Christian Lindner so viel Geld herausrückt. Was gern vergessen wird: Esken ist auch eine „Digitalpolitikerin“. Schon lange. In der SPD-Fraktion hat sie das Thema bearbeitet. Ihr Partner in der Digitalpolitik war Lars Klingbeil. Jetzt müssen die beiden die gesamten Politikbereiche zwischen sich aufteilen. Hin und wieder äußert sich Esken auch zu Krieg und Außenpolitischem. Das ist eigentlich Klingbeils Bereich. Ansonsten: Klingbeil ist bei den konservativeren „Seeheimern“, Esken ist links. Aber in ihrer frischen Loyalität zu Olaf Scholz lässt sich Esken nicht erschüttern. Auch nicht in ihrem Glauben an den Fortschrittssegen durch Digitalisierung. Mitte März geht es in der Berliner Landesvertretung von Rheinland-Pfalz bei einer Konferenz um Künstliche Intelligenz (KI). „Nachdem im Bildungssystem die Hoffnung nicht sterben wollte, dass das Internet wieder verschwinden würde, hat jetzt ChatGPT die Schulen erreicht.“ Das Publikum ist amüsiert. Und freut sich, dass Esken nicht über Angst und Schrecken, den KI verbreitet, redet, sondern über Chancen. Natürlich will Esken aus „technischem Fortschritt sozialen Fortschritt machen“. KI für alle. Sozusagen sozialdemokratische KI. Esken ist in ihrem Element. Und pendelt mühelos zur klassischen Bildung. „Lesen, Schreiben, Rechnen, sich ausdrücken können“ würden die Grundlagen bleiben. Weswegen es schlimm sei, dass ein Viertel der Grundschüler das nicht könne. Esken endet mit der ChatGPT- Antwort auf die Frage, wie Gerechtigkeit und KI zusammenkommen. Das digitale Programm sagt: „Insgesamt erfordert die Entwicklung einer gerechten KI eine In ihrer frischen Loyalität zu Olaf Scholz lässt sich Esken nicht erschüttern. sorgfältige Abwägung von sozialen, ethischen und rechtlichen Aspekten, um sicherzustellen, dass sie in Übereinstimmung mit den Werten und Normen der Gesellschaft funktioniert.“ Die 61-Jährige schaut in die Runde und sagt: „Das ist doch eine schöne Zusammenfassung.“ Sie bekommt dann Briefpapier geschenkt. Weil jetzt handschriftliche Mitteilungen immer wertvoller werden. An einem der verregneten Frühlingsabende hat die Baden-Württembergerin ein Wahlkreistreffen mitten in Berlin. 50 Elternvertreterinnen und Elternvertreter aus Calw/Freudenstadt treffen im Restaurant „Umspannwerk Ost“ auf ihre Wahlkreis-Bundestagsabgeordnete. Es herrschen Frohsinn und Heiterkeit „Die Frau Esken kenne ich schon aus der Zeit, bevor sie im Bundestag war“, sagt Udo Vollmer. „Sie hat den Arbeitskreis der Elternbeiräte im Kreis Calw gegründet“, erzählt er, und dass er selbst da vier Jahre tätig war. Vollmer ist „begeischtert“. Während die Elternvertreter Ente essen, redet Esken schon wieder über Schule. Und was ist mit dem Lehrermangel? „Jetzt muss ich diesen blöden Satz sagen, das ist Landesangelegenheit“, sagt Esken, und dass es wenigstens diese Entlassungen von Lehrern in den Sommerferien in Baden-Württemberg „nimmer“ gibt. Fast alle Elternvertreter klagen über den Föderalismus, über die „Kleinstaaterei“. Esken meint, wenn man den Ländern die Bildung wegnähme, bliebe nicht viel von deren Kompetenzen übrig. Man müsse halt das Beste draus machen. „Als sie mir vor vier Jahren gesagt hat, sie würde sich um den Parteivorsitz bewerben, habe ich ihr geantwortet, da kannst Du auch gleich zum Arbeitsamt gehen“, erzählt Rüdiger Krause, Vizevorsitzender der SPD in Bad Liebenzell. „Sie hat eine etwas schroffe Art, aber man merkt, dass sie an sich gearbeitet hat“, sagt Krause. „Es gab auch Linke in der SPD, die haben ihr vorgeworfen, dass sie den Schwenk zu Scholz gemacht hat. Aber ich fand das gut.“ Und sollte Esken Ministerin werden? „Ja“, sagt Krause zögerlich, „aber es kommt darauf an, wofür“. Und nach kurzer Pause: „Sie soll am besten das machen, was sie jetzt macht.“

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