Aufrufe
vor 4 Monaten

Heidenheimer Zeitung von 24.05.2023

  • Text
  • Deutsche
  • Laut
  • Berlin
  • Frauen
  • Seien
  • Frau
  • Menschen
  • Deutschland
  • Foto
  • Heidenheim

2 THEMEN DES TAGES /

2 THEMEN DES TAGES / POLITIK Vom Heizungsgesetz zur Regierungskrise Koalition Die erste Lesung im Bundestag findet nicht wie geplant statt. Grund sind fundamentale Bedenken der FDP. Die Grünen werfen dem Partner Blockadehaltung vor. Leitartikel Dorothee Torebko zu Habecks Heizungsgesetz Neustart nötig Die Bundesregierung könnte von anderen lernen. Wenn Studierende zum Beispiel oder auch Journalisten sich in ihren Texten verheddern, wenn sie von einem wenig durchdachten Gedanken zum nächsten springen, hilft häufig nur eines: markieren, löschen und von vorn beginnen. Meist ist die zweite Version strukturierter, klüger, besser. Genau das sollte die Bundes regierung auch beim Gebäude energie gesetz tun: alles auf Neustart. Das sogenannte Heizungsgesetz ist einer der wichtigsten Hebel für den Klimaschutz. Ohne eine Transformation des Gebäudesektors werden die Emissionsreduktionsziele krachend verfehlt. Zugleich greift kaum ein anderes Gesetz der letzten Jahre so gravierend in das Leben der Bürger ein wie das GEG. Es stellt die Finanzen der Hausbesitzer und Vermieter auf den Kopf. Das Häuschen als sicher geglaubte Alters vorsorge könnte in extremen Fällen zur Schuldenfalle werden. Kein Gesetz macht den Menschen in diesem Land so viel Angst wie das GEG. Keines sorgt für so viel Unsicherheit. Problematisch ist die Fokussierung auf eine Technologie: die Wärmepumpe. Der Gesetzentwurf sieht zwar auch den Einbau anderer Heizoptionen vor. Doch nicht jede Kommune kann einen Plan für den Aufbau eines Wasserstoff- oder Fernwärmenetzes aus der Schublade zaubern. Und nicht jeder hat den Platz für eine Biomasse-Heizung, wahrscheinlich sind es die wenigsten. Deshalb wird es für viele eben auf die Wärmepumpe, deren Einsatz und Einbau mit vielen Fragezeichen behaftet sind, hinauslaufen. Und genau hier liegt das Problem: Die Bürger haben den Eindruck, dass ihnen eine Technologie aufgezwungen wird, dass ihnen die Kommentar Stefan Kegel zur nationalen Sicherheitsstrategie Karikatur: Klaus Stuttmann Freiheit der Entscheidung genommen wird. Das muss nicht sein. Einen Gegenvorschlag zu den Gesetzes plänen haben der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, sowie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm gemacht. So schlug Edenhofer einen höheren Preis für den CO 2 -Ausstoß und eine Obergrenze für Emissionen vor. Wenn Heizen mit Gas deutlich schneller teurer werden würde, würden die Menschen von sich aus auf andere Heizmittel umstellen. Die steigenden Preise müssten sozial abgefedert und Menschen mit geringem Einkommen entlastet werden. Der Klima schutz effekt wäre ähnlich wie bei der GEG-Novelle, allerdings ohne den Nebeneffekt, dass sich die Menschen gegängelt fühlten. Der Vorschlag ist gut, wird aber so nicht kommen. Klimaschutzminister Robert Habeck kann sich jetzt nicht die Blöße geben, nochmal neu zu starten. Machtpolitisch wäre er erledigt. Den grünen Wählern könnte er das nicht vermitteln, geschweige denn den Klimaaktivisten. Deshalb wird das Gezerre um die GEG-Novelle nun in die nächsten Runden gehen. Damit ist aber auch klar: Das Konjunkturprogramm für den Kauf fossiler Heizungen bis Jahresende bekommt nochmal einen Schub und der Klimaschutz bleibt zunächst auf der Strecke. leitartikel@swp.de Nicht ausgegoren Die Zahl jener Menschen, die einst jede Neuauflage des Weißbuchs der Bundeswehr neugierig verschlungen haben, dürfte sich in Grenzen halten. Es war der Vorläufer jenes geheimnisumwobenen Papiers, das seit Monaten zwischen den Bundes ministerien zirkuliert: die Nationale Sicherheitsstrategie. Die Erwartungen an das Dokument wurden enorm hoch geschraubt. Nicht nur hat Außenministerin Annalena Baer bock es zu einem der zentralen Projekte ihrer Amtszeit erkoren. Es soll zum ersten Mal eine umfassende Leit linie für das internationale Agieren der Bundesrepublik darlegen. Freund und Feind wüssten dann, woran sie jenseits der Tages politik bei Deutschland sind, wo die langfristigen Interessen der Bundes republik liegen. Außen politik-Experten fordern das von Europas mächtigstem Staat seit Langem. Der Anreiz für den Kauf fossiler Heizungen bis Jahresende bekommt nochmal einen Schub. Doch während bei der Verschiebung eines potenziellen Bestsellers die Spannung steigt, löst das Ringen um die Inhalte, gepaart mit dem Machtspiel zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt sowie zwischen den Ampelparteien, mittlerweile vor allem Irritationen aus. Das hat unter anderem mit den unrealistischen Zeitplänen zu tun, mit denen manche Projekte aufs Gleis geschoben wurden, auch dieses. Es sollte schon vor einem halben Jahr fertig sein. Dabei erscheint es bei einem solch grundlegenden Dokument – gerade im Angesicht der sich rasant ändernden internationalen Lage – nachvollziehbar, dass es gründlich, vorausschauend und mit Bedacht formuliert wird. Deshalb sollten die Beteiligten besser keine Zeiträume mehr nennen. Sondern endlich mal ein ausgegorenes Projekt präsentieren. Und zwar dann, wenn es wirklich fertig ist. Das neue Gesetz baut vor allem auf die Wärmepumpe. Foto: Laura Ludwig/ dpa STICHWORT ZOLLBILANZ Der Zoll hat im vergangenen Jahr 97 000 Ermittlungsverfahren gegen 99 700 Tatverdächtige eingeleitet. Ein Teil davon entfiel auf den Drogenschmuggel: 14,5 Tonnen Kokain wurden an deutschen Grenzen beschlagnahmt, wie aus der Zoll-Jahresbilanz, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorstellte, hervorgeht. Das waren zwar gut 7 Tonnen Kokain weniger als im Jahr 2021, aber 5 Tonnen mehr als 2020. Außerdem stellten die Zöllner fast 8400 Kilo Marihuana sicher, rund 1000 Kilo mehr als 2021 und rund 5000 Kilo mehr als 2020. Die Bediensteten des Zolls entdeckten ferner 142 Millionen geschmuggelte Zigaretten. 2021 waren es 117 Millionen gewesen, im Jahr zuvor 105 Millionen. Die Beamten stellten ferner 52 Kriegswaffen sicher – auffällig groß war der Umfang der illegalen Munition: Der Zoll beschlagnahmte fast 579 000 Schuss. Im Vorjahr waren es 137 000 gewesen, 2020 nur 32 000. dpa Berlin. Dass sich der Großkonflikt um das Heizungsgesetz mit dem Struckschen Gesetz allein nicht würde auflösen lassen, ist schon länger klar. Die nach dem früheren SPD-Fraktionschef benannte Regel besagt, dass ein Gesetz nie so aus dem Bundestag herauskommt, wie es hineingekommen ist. Darüber ist der koalitionsinterne Krach um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) seit Wochen hinaus. Dennoch bemühte die Ampel bis zu Bundes kanzler Olaf Scholz (SPD) in den vergangenen Wochen unverdrossen das Strucksche Erklär modell. Spätestens seit dieser Woche aber geht es weniger um die Frage, wie das Gesetz aus dem Parlament herauskommt, sondern darum, wie und ob es hineinkommt. Die für diese Woche geplante erste Lesung findet jedenfalls nicht statt, wie die Koalition jetzt einräumen musste. Grund sind die fundamentalen Bedenken der FDP. Damit aber wackelt der Zeitplan: Eigentlich sollte das GEG „vor der Sommerpause“ vom Bundestag beschlossen werden; so hatten es SPD, Grüne und FDP während ihres Marathon- Koalitionsausschusses im März beschlossen. Der Kabinettsbeschluss gilt Den Liberalen geht es um mehr als Fristen, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte quasi einen Neustart. „Hier brauchen wir ein neues Gesetz im Prinzip“, sagte er schon am Montag. Das allerdings hat mit dem Prinzip Struck nichts mehr zu tun. Die Ampel hat nun gleich zwei Probleme, ein politisches und ein prozedurales. Das politische formulierten die Streit um Cyber angriffe Berlin. Es soll der große Aufschlag für die strategische Ausrichtung Deutschlands in der Welt werden: die Nationale Sicherheitsstrategie. Woher drohen Gefahren für unser Land, wie wehren wir uns gegen sie, wer ist Freund, wer ist Feind? Doch das Vorhaben droht zur unendlichen Geschichte zu werden. Am Mittwoch sollte es im Bundeskabinett beschlossen werden, am Donnerstag war eine große Debatte im Bundestag geplant. Beides wurde nun abgesagt. Zum wiederholten Mal gerät das Papier in die Mühlen der Ampel-Interessen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wollte es bereits im Februar präsentieren: bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Daraus wurde allerdings nichts, weil das Kanzleramt und andere Ministerien, die an der Erarbeitung beteiligt sind, noch offene Punkte sahen. Widerstand gab es auch aus dem parlamentarischen Raum. Es könne nicht sein, dass eine Ministerin ein solch wichtiges Papier vorstellt, ohne dass der Bundestag zuvor informiert wurde, hieß es vom Koalitionspartner SPD. „Zuerst muss der Bundestag durch eine Anhörung einbezogen werden“, sagte damals deren Außenpolitiker Nils Schmid. Minister Buschmann bremst Dass es auch am Donnerstag nicht dazukommt, hat mit neuen Verstimmungen zwischen den Ministerien über den Entwurf des Auswärtigen Amtes zu tun. Wie aus Koalitionskreisen verlautet, dreht sich der Streit unter anderem um das Vorhaben von Außenministerin Baer bock und Innenministerin Nancy Faeser (SPD), für Cyberattacken die Möglichkeit eines digitalen Gegenangriffs vorzusehen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) bremst unter Verweis auf den Koalitionsvertrag. „Hack backs lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich ab“, ist vereinbart. Ohnehin wäre die Möglichkeit eines digitalen Gegenangriffs vor allem für Baerbocks Grüne eine Kehrtwende. Die Digitalpolitiker Zollbilanz 8,6 Millionen Fälschungen Hamburg. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Arbeit der ihm unterstellten Zollbeamten gelobt: „48 000 Zöllnerinnen und Zöllner sind täglich für unsere Gesellschaft im Einsatz“, sagte Lindner bei der Vorstellung der Zollbilanz 2022. Demnach wurden von den Beamten im vergangenen Jahr 391 Millionen Warensendungen im Wert von 1,4 Billionen Euro abgefertigt und 8,6 Millionen Warenfälschungen abgefangen. dpa Stichwort Grünen, deren Wirtschaftsminister Robert Habeck mit dem GEG die Wärmewende umsetzen will. Fraktions chefin Britta Haßelmann warf der FDP „Unzuverlässigkeit“ und „Blockade haltung“ vor – was für Regierungspartner ziemlich gepfefferte Vorwürfe sind. Sie warnte sogar vor Schaden für die Handlungsfähigkeit der Regierung und die Arbeitsfähigkeit der Ampel. Das wiederum klingt nach drohender Regierungskrise. Deswegen wurde zeitgleich beschwichtigt: „Mit gutem Willen können wir das Gesetz bis zum Sommer dennoch beschließen“, sagte beispielsweise die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Wie das angesichts der FDP-Forderungen nach einem Neustart gehen soll, ist unklar. CDU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei, der inhaltlich mit der FDP- Position sympathisiert, wies darauf hin, dass ein Gesetz so in den Bundestag eingebracht werden müsse, wie es vom Kabinett beschlossen wurde. Die Ministerrunde einschließlich FDP-Vertretern hatte dem GEG vor fünf Wochen formal zugestimmt, sich allerdings sogleich mit einer Protokollerklärung von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner distanziert. Die FDP kündigte nun weitere koalitionsinterne Gespräche an. Ob die helfen, ist offen. Habeck jedenfalls warf den Kollegen „Wortbruch“ vor. Ellen Hasenkamp Leitartikel Sicherheitsstrategie Das Vorzeigeprojekt von Außenministerin Annalena Baerbock verzögert sich erneut. der Partei haben eine solche Idee stets abgelehnt. Fraktions vize und Digitalpolitiker Konstantin von Notz bezeichnete einen solchen Schritt als „IT-Sicherheit gefährdende, verfassungsrechtlich nicht umsetzbare Maßnahme“. Immer wieder verweisen Experten darauf, dass Hacker sich tarnen und als Ausgangspunkt ihrer Angriffe zivile Internet-Server, etwa eines Kranken hauses, wählen könnten. Würde dann ein Gegenangriff ausgeführt, würde das Krankenhaus lahmgelegt. Die erneute Verzögerung für die Sicherheitsstrategie auf Mitte Juni kommt überraschend. Denn die großen Streitpunkte schienen schon ausgeräumt zu sein. So war etwa das Vorhaben, einen Nationalen Sicherheitsrat wie in den USA oder Großbritannien zu installieren, bereits im März be erdigt worden. Auswärtiges Amt und Kanzleramt hatten sich nicht einigen können, wo dieser angesiedelt und wie er strukturiert sein sollte. Stefan Kegel Kommentar Iran Demonstranten droht der Tod Teheran. Nach einem Monate langen Berufungsverfahren droht einem weiteren Demonstranten im Iran die Exekution. Der Oberste Gerichtshof bestätigte ein Urteil gemäß islamischer Rechtssprechung, wonach die Familie eines Getöteten Vergeltung üben kann. Die Justiz macht den 23 Jahre alten Mohammed Ghobadlu für die Tötung eines Polizisten während der landesweiten Proteste im Herbst verantwortlich. Die Familie des Polizisten kann Ghobadlu jedoch vergeben. dpa

Mittwoch, 24. Mai 2023 3 Migranten werden von der tunesischen Nationalgarde bei dem Versuch aufgehalten, über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Foto: AP/dpa Hintergrund Beispiel Australien Die Debatte über Migration, ihre Steuerung, über Abschiebungen und Grenzkontrollen nimmt eine neue Schleife. Die Bundesregierung will stärker auf „Migrations abkommen“ mit Ländern setzen, aus denen besonders viele Menschen zu uns kommen. „Die Grundlinie der Bundesregierung ist, irreguläre Migration zu begrenzen und legale Migrationswege zu ermöglichen“, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Steigen die Flüchtlingszahlen? Ja. Die Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge (mehr als 1 Million) bleibt konstant. Dagegen teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der Asylanträge, die Ukrainer nicht stellen müssen, mit, im April seien 19 629 Erstanträge entgegengenommen worden. „Gegenüber dem Vormonat (März: 25 175 Personen) sank dieser Wert um 22,0 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr (April 2022: 11 359 Personen) ist ein Anstieg um 72,8 Prozent zu verzeichnen.“ Warum gibt es einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen? Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Zahl der Menschen, die keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben, zu reduzieren. Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten für Abschiebungen verbessert werden. Seit 1. Februar ist Joachim Stamp (FDP) zuständig. Seine Aufgabe laut Bundesregierung: „Mit den wesentlichen Herkunftsländern sollen praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen unter Beachtung menschenrechtlicher Standards getroffen werden.“ Regierung will mehr abschieben Migration Viele Kommunen sehen sich bei der Aufnahme von Asylbewerbern an der Belastungsgrenze. Innenministerin Nancy Faeser will den Zuzug nach Deutschland stärker steuern. Von André Bochow Die Hauptherkunftsländer Die meisten Flüchtlinge kommen nach wie vor aus Syrien. 28 499 Erstanträge stellten Syrer in den ersten vier Monaten dieses Jahres. Das ist im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum ein Anstieg um 73 Prozent. Afghanische Flüchtlinge stellten 19 410 Erstanträge – ein Plus von 83,6 Prozent. Menschen aus der Türkei stellten 12 804 Erstanträge, das sind 259 Prozent mehr im Vorjahresvergleich. Unter den zehn Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, sind auch der Irak, Iran und Russland. Bei Syrern liegt die sogenannte Gesamtschutzquote (Bleiberecht, auch ohne Asyl) bei 84 Prozent, bei Afghanen sind es rund 74, bei Türkinnen und Türken 16 Prozent. Was heißt das konkret? Es geht nicht zuletzt um die Rücknahme Ausreisepflichtiger in ihren Herkunftsländern. Weil entsprechende Vereinbarungen von wenig Erfolg gekrönt waren, sollen Anreize geschaffen werden. „Das betrifft etwa den Ausbau wirtschaftlicher Zusammenarbeit, den Technologietransfer, Visa-Erleichterungen, Jobbörsen und Qualifizierungsmaßnahmen für den deutschen Arbeitsmarkt“, so die Regierungsbeschreibung. Mit welchen Ländern soll es Migrationsabkommen geben? Ein erstes „Abkommen über eine umfassende Migrations- und Mobilitätspartnerschaft“ wurde im Dezember 2022 mit Indien unterzeichnet. 13 Abschiebungen gab es bis März. In Deutschland leben etwa 5000 ausreisepflichtige Inder, bei 200 000 Indern, die legal im Land sind. Ein weiteres Migrationsabkommen soll es mit dem Irak geben, was aber nicht offiziell bestätigt wurde. Dagegen heißt es aus dem Bundesinnenministerium, es sei mit Usbekistan eine „Absichtserklärung zu Gesprächen über eine Migrationspartnerschaft unterzeichnet“ worden. Der Bundeskanzler hat ein Abkommen mit Kenia angekündigt. Im Gespräch sind Marokko und Tunesien. Wie sieht es mit der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU aus? Im Juni 2022 versuchten Frankreich und Deutschland eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Einer Solidaritäts erklärung beim Außenminister treffen im Juni 2022 und der angekündigten Bereitschaft von 12 von 27 EU- Ländern, Flüchtlinge aufzunehmen, folgte nicht viel. Der Jurist Daniel Thym, Professor an der Universität Konstanz, spricht von einer „deutschen Illusion“ hinsichtlich der Verteilungsquoten. Die deutsche Haltung, die Migration zu steuern, werde immer weniger geteilt. „Offen wird vielerorts artikuliert, dass die irreguläre Migration ‚gestoppt‘ werden soll, exemplarisch durch Asylverfahren in Drittstaaten oder eine Kooperation mit außereuropäischen Nachbarn.“ Das wiederum ist nicht weit von der deutschen Diskussion entfernt. Eine Umverteilung sei zwar nicht grundsätzlich falsch, so Daniel Thym, aber die Wirkung dürfe nicht überschätzt werden und sie erübrige „nicht Debatten über Restriktionen wie ein Verbot mehrfacher Asyl anträge“. Und wie weit ist die EU bei einer gemeinsamen Flüchtlings politik? „Die europäische Flüchtlingspolitik ist bankrott“, sagt Ruud Koop mans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Berliner Humboldt-Universität. „Seit 2014 starben allein im Mittelmeer über 25 000 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen. Damit ist die Asylmigration nach Europa das bei Weitem tödlichste Migrationssystem der Welt“, sagt Koop mans. Der Wissenschaftler plädiert für einen Systemwechsel: hin zu regulärer Migration bei konsequenter Unterbindung der irregulären. Zumindest was Letzteres betrifft, gibt es Anstrengungen. „Der langfristige Trend in der EU-Migrations- und Asyl politik zu mehr Grenzschutz- und Rückführungsmaßnahmen setzt sich fort, unterstützt durch neue Koalitionen zwischen süd- und nordosteuropäischen Ländern“, sagt Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. FOTO: DAVID AUSSERHOFER Die Parlamentarische Linke der SPD will beim Thema Migration eigene Akzente setzen und hat deswegen ein Positionspapier verfasst. Es geht zum Beispiel darum, „dass Asyl suchenden der Zugang zum europäischen Territorium und faire Asyl verfahren ermöglicht werden“, so Mitunterzeichnerin Elisabeth Kaiser. Die Staatssekretärin im Arbeitsministerium stellt klar: „Die Senkung von humanitären Standards lehnen wir ab.“ Und man müsse sehr genau hinsehen, „mit wem wir Migrationsabkommen schließen und welche Bedingungen da ausgehandelt werden.“ In Australien war man diesbezüglich weniger vorsichtig. „Australischen Regierungen ist es in den letzten 50 Jahren dreimal gelungen, die Zahl der in Booten nach Australien kommenden Menschen drastisch zu reduzieren“, sagt der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus. Nur, sind Australien mit Europa vergleichbar? Durchaus, findet Ruud Koop mans, Forschungsdirektor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozial forschung. „Natürlich ist der Migrationsdruck in Europa größer und sind die Migrationswege kürzer.“ Grundsätzlich habe Australien aber ähnliche Probleme gehabt. „Menschen aus vielen Ländern, auch aus dem Irak und Syrien, kamen mit Booten, die in Indonesien starteten. Auch in diesen Fällen starben Tausende im Meer. Die strikte Regelung, dass irreguläre Migranten nicht ins Land gelassen wurden, hat dazu geführt, dass niemand mehr ertrinkt.“ Gleichzeitig seien Kontingente von Flüchtlingen aus humanitären Gründen ins Land gelassen worden. „Australien ist weder flüchtlingsfeindlich noch migrationsfeindlich. Aber das Land hat die Kontrolle über die Migration.“ Denn es gibt in Australien durchaus legale Wege, einzuwandern. Es gab auch Schattenseiten „Die Zustände in den Aufnahmelagern in Papua-Neuguinea und Nauru waren fürchterlich“, sagt Koop mans. „Allerdings haben wir in den europäischen Asylzentren, denken wir nur an Moria, vergleichbares Elend zugelassen.“ Auch wenn Abkommen mit Ländern wie Tunesien oder Ghana abgeschlossen würden, „müssen die Bedingungen in den Asylaufnahme lagern human sein“. Die Abschreckung gehe allerdings nicht von miesen Zuständen in solchen Lagern aus, vielmehr „davon, dass man nicht in Europa landet, sondern in einem Land, in das man nicht wollte“. André Bochow Ruud Koop mans plädiert für einen Systemwechsel. ZAHL DES TAGES 23 Prozent der Bundesbürger halten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für führungsstark, zwei Prozentpunkte weniger als im Januar und neun Punkte weniger als vor einem Jahr. Dies ergab eine Forsa-Umfrage. Selbst unter SPD-Anhängern schreiben ihm nur 47 Prozent Führungsstärke zu. 46 Prozent stufen den Kanzler unverändert als kompetent ein. dpa Grundgesetz „Die Demokratie schützen“ Berlin. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Tag des Grundgesetzes zum Einsatz für die Demokratie aufgerufen. Die Behörden hätten 2022 einen Höchststand an politisch motivierten Straftaten erfasst. „Das zeigt: Wir müssen unsere Demokratie schützen gegen innere wie äußere Bedrohungen.“ Dies geschehe durch gut ausgestattete Sicherheitskräfte, aber auch durch politische Bildung. Das Grundgesetz war am 23.Mai 1949 verkündet worden. afp Sorge vor Eskalation Erneute Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern hat die Furcht vor einer weiteren Eskalation in der Region geschürt. Bei einer nächtlichen Razzia waren drei Palästinenser getötet worden. Foto: Majdi Mohammed/AP/dpa Nato Großübung der Luftwaffe Hannover. Die Nato veranstaltet laut Bundeswehr vom 12. bis 23. Juni die größte militärische Verlege-Übung seit Bestehen des Bündnisses. Die Luftwaffenübung „Air Defender 23“, die hauptsächlich über Nord- und Ostsee stattfinden soll, werde den zivilen Flugverkehr kaum beeinträchtigen, sagte der Inspekteur der deutschen Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz. An der Übung sind den Angaben zufolge 25 Nationen mit rund 240 Flugzeugen beteiligt. dpa Sudan Waffenruhe hält nicht Khartum. Im Sudan sind die Kämpfe zwischen zwei rivalisierenden Militäreinheiten in der Nacht zum Dienstag trotz einer am Samstag vereinbarten Waffenruhe fortgesetzt worden. Laut Medienberichten kam es in der Nacht zum Dienstag unter anderem zu Luftangriffen und Artilleriebeschuss in und um die Hauptstadt. Schon in den Wochen zuvor waren von der Armee und den paramilitärischen RSF mündlich vereinbarte Waffenruhen immer wieder gebrochen worden. dpa

© NPG DIGITAL GMBH 2018