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Heidenheimer Zeitung von 20.05.2023

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Wochenende 38 Magazin

Wochenende 38 Magazin Wenn viele an einem Strang ziehen: Ein Eindruck vom Sommerfest 2019 der Wohnsiedlung „Bremer Höhe“ in Berlin-Prenzlauer Berg. Foto: König/ Genossenschaftsforum Wenn Ulf Heitmann seinen Blick über Hobrechtsfelde im Kreis Barnim schweifen lässt, einen kleinen Ort nahe der Landesgrenze zwischen Berlin und Brandenburg, dann hat er schon wieder Pläne: „Da passt noch was hin“, sagt der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft „Bremer Höhe“, die im Jahr 2010 die 25 Häuser des 200-Seelen-Fleckens für eine Million Euro kaufte und für knapp zehn Millionen Euro vor dem Verfall rettete. „Wir haben“, meint Heitmann trocken, „das Dörfchen aufgehübscht“. Inzwischen sind 22 Häuser saniert, und der Chef der Genossenschaft aus Prenzlauer Berg kann stolz feststellen: „Wir haben hier alles richtig gemacht.“ Eine gelungene Mischung aus Selbsthilfe, Solidarität und ansteckendem Unternehmergeist. Einst landeten auf den Rieselfeldern ringsum die Hinterlassenschaften aus der Berliner Kanalisation – es stank. Bis 1985. Heute ist Hobrechtsfelde ein schmuckes Dorf inmitten „blühender Landschaften“, wie der Einheitskanzler Helmut Kohl ehedem versprochen hat. Eine alteingesessene Bewohnerin lehnt am Vorgartenzaun und schaut zufrieden drein. „Früher konnten wir wegen der vielen Mücken nicht auf der Terrasse sitzen, es war grausam. Heute habe ich eine wunderbar sanierte Wohnung und genieße meinen Garten.“ Da nimmt sie gern in Kauf, dass sich ihre Warmmiete zwar verdoppelt hat, aber immer noch deutlich unter den Vergleichsmieten des Umlandes liegt. Hobrechtsfelde, das weiß natürlich auch Heitmann, war ein Glücksfall damals. Heute lässt sich dieses Modell im Speckgürtel der Hauptstadt jedenfalls nicht mehr kopieren: „Wir hätten als Genossenschaft gar nicht das Geld, um bei den aktuellen Preisen mithalten zu können.“ Alles ist teurer geworden in den letzten Jahren – Grund und Boden, das Bauen, die Handwerker, das Material, die Energie. Aber mit dem, was die „Bremer Höhe“ in ihrem Portfolio hat – 850 Wohnungen, 35 Gewerbeeinheiten – lässt sich ganz gut wirtschaften. Darunter befindet sich auch jenes ab Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Ensemble von 520 Wohnungen zwischen Pappelallee und Schönhauser Allee, mit der vor 23 Jahren alles begann. Der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann von der Humboldt Universität nannte die „Bremer Höhe“ mit ihren Rohziegelfassaden und Ecktürmen einmal den „Beweis dafür, dass Mieter verantwortungsbewusst miteinander sowie mit ihrer baulichen und sozialen Umwelt umgehen und auch wirtschaftlich handeln können“. Einst war der Bauherr, die „Berliner Gemeinnützige Baugesellschaft“, Anwalt der „kleinen Leute“, die hier wohnten – Arbeiter, Handwerksgesellen, Laufburschen, Beamte der niedrigeren Ränge. Und auch heute führt das Genossenschaftsmodell der „Bremer Höhe“ zu einer „hohen Identifikation der Bewohner mit ihrem Kiez“, zugleich motiviert dieses Gemeinschaftsgefühl zu einem „Engagement, das über Familie und eigene Wohnung hinausgeht“, so Hartmut Häußermann. Immer wieder stoßen sie auf bürokratische Hindernisse - im Baurecht, bei Förderungen und Kreditvergaben. Und Heitmanns Genossenschaft ist nicht allein: 40 ähnliche Gemeinschaften gehören zum „Bündnis junger Genossenschaften“ in Berlin, ebenso viele Vereine haben sich unter dem Dach des „Genossenschaftsforums“ vereinigt, das Initiativen repräsentiert, die über das gesamte Stadtgebiet an der Spree verteilt sind – von der „Arbeiter-Genossenschaft Geteilt bauen, gemeinsam leben Weil Wohnraum in Ballungsräumen kaum noch erschwinglich ist, bilden sich immer mehr genossenschaftliche Initiativen. Die Idee: sozialverträgliches Wohnen mit vereinten Kräften zu ermöglichen. In Städten wie Berlin gibt es erfolgreiche Beispiele. Doch das Modell birgt Tücken. Paradies“ in Treptow-Köpenick bis zum „Studentendorf Schlachtensee“ in Zehlendorf. So wie Heitmann versprühen viele „Genossen“ Pioniergeist und Gemeinschaftssinn, selbst wenn er einräumt: „Zaubern können wir auch nicht.“ Dazu stoßen die Genossenschaften immer wieder auf zu viele bürokratische Hindernisse – im Baurecht, bei Förderrichtlinien und Kreditvergabe. „Mehr Pragmatismus in der Politik würde uns helfen“, erklärt Heitmann, „denn es gibt viele, die bauen wollen.“ Langjährige Mieter der „Bremer Höhe“ zahlen eine unschlagbare Miete von 6 Euro pro Quadratmeter, Neumitglieder bloß einen Euro mehr. Davon können Bewohner in frei finanzierten Häusern im Szenekiez Prenzlauer Berg nur träumen – die müssen oft locker den doppelten Mietzins berappen. Kein Wunder, dass Heitmann bedauernd mitteilt: „Wir nehmen keine neuen Mitglieder mehr auf.“ Auch andere Berliner Genossenschaften führen Wartelisten, die Bedingungen sind nicht überall gleich. Neben Einlagen und Beiträgen erwarten einige Genossenschaften, dass ihre Mitglieder Gemeinschaftliches Engagement gefragt: Baumpflanzaktion in der Wohnsiedlung „Bremer Höhe“ in Berlin-Prenzlauer Berg. Foto: Kotte/ Genossenschaftszentrum obendrein Arbeiten für die Gemeinschaft leisten oder andere Pflichten übernehmen. Das aber hält gerade junge Familien nicht davon ab, sich in die Warteschlange einzureihen. Tatsächlich erlebt die bald 200 Jahre alte Idee der Genossenschaften ein beeindruckendes Comeback – nicht nur bei Mietern und Bauherren, auch in der Landwirtschaft, im Handwerk und Handel, im Finanzwesen, bei der Energieversorgung. In Deutschland sind Genossenschaften in 45 Branchen aktiv, davon allein 2000 Wohnungsgenossenschaften mit 2,2 Millionen Wohneinheiten und fünf Millionen Bewohnern. 28 Prozent der Bundesbürger sind aktuellen Zahlen zufolge Mitglieder einer der 8000 Genossenschaften mit 20 Millionen Mitgliedern und 800.000 Mitarbeitern. 60 Prozent der jährlichen Milchmenge in der Bundesrepublik werden von 162 Molkereigenossenschaften verarbeitet, ein Drittel der deutschen Traubenernte wird von Winzergenossenschaften veredelt, 21,8 Prozent der Deutschen sind Teilhaber einer Genossenschaftsbank. Offenkundig vergessen sind die Skandale, die das gewerkschaftseigene Wohnungsbauunternehmen „Neue Heimat“ 1982 erschütterten oder ein paar Jahre später den Handelskonzern „Co-op“. Die Renaissance der genossenschaftlichen Idee, die zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert viele Menschen vor der Armut rettete, scheint auch eine Antwort auf aktuelle Krisen zu sein: die Inflation, die Mieten und Lebenshaltung zumal für viele Großstadtbewohner in die Höhe treibt, den Klimawandel, der zu gemeinsamen Anstrengungen bei Energieverbrauch und Umweltschutz herausfordert, die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich, die das Teilen zum Gebot der Stunde macht. Gemeinsinn und Solidarität zählen also auch in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ und in einer Welt des Egoismus immer noch als erstrebenswert und sinnvoll. Mittlerweile teilen viele Menschen nicht nur ihren Arbeitsplatz, ihr Wohnhaus oder ihr Auto miteinander, sondern schließen sich auch immer öfter zu Genossenschaften zusammen. Der Frankfurter Sozialwissenschaftler Axel Honneth rühmt in seinem kürzlich erschienenen Buch „Der arbeitende Souverän“ das Genossenschaftskonzept als überzeugende Antwort auf den Reformbedarf der gegenwärtigen Arbeitswelt, die von Vereinzelung, prekärer Beschäftigung und der Auflösung kollektiver Bindungen geprägt sei sowie einem damit verbundenen Mangel an persönlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Genossenschaften, so Honneth, böten stattdessen „kooperative >

Wochenende Magazin 39 > Eigentumsrechte, Gewinnbeteiligung und soziale Kontakte“. Manchmal ist der Antrieb, sich genossenschaftlich zu organisieren, die fast verzweifelte Rettungstat einer Dorfgemeinschaft wie in Hobrechtsfelde, die ihr angestammtes Quartier nicht aufgeben will, dann wieder – wie bei den Bewohnern der „Bremer Höhe“ in Prenzlauer Berg – der aktive Widerstand gegen anonyme Investoren, die nur an der „schnellen Mark“ interessiert sind. Oder ein Kollektiv von zehn Frauen und Männern, die kurzerhand einen liebgewonnenen Kiezladen auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße übernehmen und Hat große Pläne: Vera Fröhlich auf dem zukünftigen Baugrund des KoDorfes Wiesenburg in Brandenburg. Foto: Birgit Kollbach-Fröhlich ihn als „Bioase“ weiter führen. 200 Mitglieder, die einen monatlichen Beitrag zahlen, erhalten einen Rabatt auf alle Waren. „Durch dieses Modell entsteht für uns eine gewisse Planbarkeit“ erläutert eine der Gründerinnen die Geschäftsidee, und die Kundschaft, die „vermehrt aufs Geld achtet“, schätzt die reduzierten Preise. Doch nicht nur in der Großstadt blüht die Idee der Genossenschaft wieder auf. Die explodierenden Mieten in den Metropolen, der Wunsch nach flexibleren Arbeitsbedingungen oder einfach nur die Lust auf mehr Grün lockt zumal jüngere Leute raus aufs Land. Allein 2021 zogen über 35.000 Personen aus Berlin nach Brandenburg. Oft entdecken Familien verlassene Höfe oder andere Betriebe als neues Wohn- und Arbeitsquartier, ganze Dörfer werden von ehemaligen Städtern besiedelt. Noch ist es eine kühne Kopfgeburt So wie ein stillgelegtes Sägewerk im Landkreis Potsdam-Mittelmark, von Berlin mehr als eine Autostunde entfernt. Hier entsteht das „KoDorf Wiesenburg“, besser gesagt: soll einmal entstehen, denn noch existiert das Projekt überwiegend in den Köpfen der Initiatoren, auf Plänen, Zeichnungen und Plakaten. Wo irgendwann einmal eine Wohnsiedlung mit 40 Häusern, dem Gemeinschaftshaus im renovierten Sägewerk, Freizeitund Sportflächen, einem Hofladen und einer Kita wachsen soll, auf einem Grundstück von 40.000 Quadratmetern, sieht man vorerst bloß Ruinen, Baulöcher und matschigen Boden. Doch Vera Fröhlich ist von der Idee überzeugt, auch wenn sie weiß, dass bis zum ersten Spatenstich noch ein weiter Weg vor ihnen liegt – nicht zuletzt sollen bis Ende Mai erst einmal die Altlasten geräumt werden, die aus der Vergangenheit des Betriebsgeländes übrig geblieben sind. Außerdem müsse „schweineviel Geld“ bewegt werden, um den Traum vom „KoDorf“ zu realisieren, den die 70 Mitglieder der Genossenschaft seit vier Jahren gemeinsam hegen. Wer dabei sein will, zahlt 200 Euro Eintrittsgebühr und 1500 Euro Mitgliedsanteile, gestaffelt in drei Raten. Später sollen die Mieten für die drei Häusertypen (25, 60 und 80 Quadratmeter) dann auch nur 463, 794 und 950 Euro pro Monat betragen – für Mitglieder. Mit Vera Fröhlich, der ehemaligen Hauptstadt-Korrespondentin, ist eine erfahrene „Genossin“ unter ihnen, die vor einiger Zeit schon die „Krautreporter“ aus der Taufe hob, einen erfolgreichen Zusammenschluss von freien Journalisten, und Aufsichtsrätin bei „VielLeben eG“ ist, einer in München ansässigen Genossenschaft. Freilich ist Vera Fröhlich nicht so naiv zu glauben, dass allein „das System Genossenschaft“ alle Probleme wie von selbst löst. „Mit WG-Romantik oder Kommune-Schwärmerei hat das nichts zu tun, es ist kompliziert“, sagt die 68-Jährige. Schwierig bleibt es, bei den Banken Kredite zu bekommen oder Erbpachtverträge über Grundstücke abzuschließen. Schon häufig sind Genossenschaften an solchen Hürden gescheitert. So konnten die Mitglieder des 2009 gegründeten Berliner „Möckernkiezes“ erst zehn Jahre später in ihre Häuser einziehen, weil Finanzierungsprobleme auftraten, Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft wechselten. Zu allem Überfluss ist nun auch die Miete viel höher als einst geplant. Wenigstens ist der Komplex in Schöneberg fertiggestellt worden und bewohnt. Zwielichtige Anbieter Deutlich aber wird, dass der allgemeine Genossenschaftsboom auch seine Schattenseiten hat – oder Anbieter auf den Geschmack gebracht hat, die mit Vorsicht zu genießen sind. Sie nutzen das positive Image der Wohnungsbaugenossenschaften für ihre Zwecke aus und wollen Mitglieder zu schnellen Zahlungen bewegen. Tatsächlich beträgt der Anteil beim Einstieg in eine bestehende Genossenschaft zwischen 200 und 1000 Euro. Bei der erfolgreichen „Bremer Höhe“ war die verlangte Einlage mit 5312 Euro deshalb so hoch, weil ein erkleckliches Startkapital für den Kauf der ersten Mietshäuser erforderlich war. Heute wird mit dem Geld der Mitglieder saniert und ausgebaut. Wegen der nicht unerheblichen Geldleistungen von Genossenschaftsmitgliedern warnt die Verbraucherzentrale etwa vor Werbern aus Call-Centern. Die Stiftung „Warentest“ hält gar eine „Warnliste“ bereit, die auf bereits bekannte unseriöse Firmen und Finanzprodukte hinweist. Bei zuverlässigen Genossenschaften fällt allein schon auf, dass mehr Bewerber als Wohnungen vorhanden sind. Zudem haben sie in aller Regel eine Satzung, die den Anlagezweck, also zum Beispiel den Bau von Wohnungen, klar definiert, und geben Auskunft über ihren Jahresabschluss. Ulf Heitmann von der „Bremer Höhe“ jedenfalls kann nicht nur mit einer beeindruckenden Bilanz aufwarten, sondern auch mit der Feststellung: „Bei uns steht keine Wohnung leer.“ Das ist für seine Baugenossenschaft wohl ein klarer Vertrauensbeweis der Mitglieder und zugleich ein Gütesiegel im Wettbewerb auf dem umkämpften Berliner Immobilienmarkt. Gunther Hartwig Partizipation – ein Zeitgeistthema Das Genossenschaftsmodell verhindert Auswüchse des Kapitalismus, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Viktoria Schäfer von der Akademie Deutscher Genossenschaften. Gerade junge Leute zeigen heute verstärktes Interesse an genossenschaftlichen Organisationsformen. Das betrifft ganz unterschiedliche Bereiche des Wirtschaftens. Warum dieses alte Konzept neuerdings für viele Menschen wieder attraktiv geworden ist, erfahren Sie hier im Interview mit Dr. Viktoria Schäfer, Vorstandsvorsitzende und wissenschaftliche Leiterin des Forschungsinstituts der Akademie Deutscher Genossenschaften e. V. in Montabaur. Was macht die Idee der Genossenschaften heute so attraktiv? Viktoria Schäfer: Das Konzept, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens stärker partizipieren zu lassen, ist ein Zeitgeistthema. Genossenschaften fördern prinzipiell die Interessen und Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder, deshalb werden auch gewisse Auswüchse des Kapitalismus vermieden, die wir insbesondere in der Finanzkrise ab dem Jahr 2007 beobachten konnten. Genossenschaften wirtschaften langfristig erfolgreich, vor allem aber verantwortungsvoll. Da geht es nicht um das schnelle, große Geld. Traditionsreiches und durchaus krisengeschütteltes Beispiel: Werbung der Coop eG in einem Supermarkt. Die Coop eG ist eine der größten Konsumgenossenschaften im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Foto: Christian Charisius/dpa Wir stellen erfreut fest, dass sich gerade auch junge Leute für das genossenschaftliche Prinzip begeistern, etwa im Wohnungsbau. Da gibt es sicher noch Entwicklungschancen. Die Jungen finden attraktiv, dass eine Genossenschaft keine Schablone ist, die auf jede mögliche Situation passt, sondern flexibel ist und Gestaltungsraum lässt. Was zählt, ist das gemeinsame Ziel, etwas mit anderen Menschen zusammen zu realisieren. Genossenschaften haben also nicht nur eine lange Geschichte, sondern auch eine gute Zukunft? Da bin ich sicher. Die Idee der Genossenschaften erlebt gerade ein Revival. Das Teilen von Arbeit, Erträgen und Interessen ist ein Modell, das viele Menschen lohnend und nachhaltig finden. Der Gemeinschaftsgedanke ist ein bedeutender Aspekt in unserer aktuellen Ökonomie geworden. Gunther Hartwig Kompromissbereitschaft gefragt: Mitgliederversammlung bei der Möckernkiez eG in Berlin-Kreuzberg Foto: Eva Zimmermann Die Idee der Genossenschaften ist bald 200 Jahre alt. Was ist modern daran? Es ist nur vermeintlich altbacken, wenn Genossenschaften am Wohl der Mitglieder interessiert sind, nicht an der raschen Rendite. Kooperationsformen hat es in der Arbeitswelt immer schon gegeben, denken Sie an Zünfte oder Gilden. Ursprünglich organisierten Hermann Schulze- Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen ihre Kreditvereine, um beim Sparen nicht nur Geld zu vermehren, sondern auch Fleiß und Leistung sichtbar zu machen, den Gedanken der „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu fördern. Das war damals vielleicht revolutionär, hat sich aber über all die Jahre in vielen verschiedenen Genossenschaftsmodellen so erhalten. Nicht umsonst stehen Theorie und Praxis deutscher Genossenschaften auf der Liste der Immateriellen Kulturgüter der UNESCO. Auf welchen Feldern sind Genossenschaften in Deutschland aktiv und erfolgreich? Ich habe bei meiner Forschungsarbeit zahlreiche Projekte kennengelernt, eines der spannendsten davon ist die VR PLUS Altmark-Wendland e.G. Da gehören neben den Finanzdienstleistungen auch die Bereiche Agrar, Energie, Markt und Technik zum Verbund. Wo gibt es denn noch Potenzial für Genossenschaften? Zur Person Foto: privat Viktoria Schäfer studierte Internationale BWL/ Management an der WHU – Otto Beisheim School of Manangement in Valendar, an der McMaster University (Hamilton, Kanada) und der Università Bocconi (Mailand, Italien). Sie promovierte an der ADG Business School an der Steinbeis-Hochschule. Forschung zu kooperativem Leadership, Tugendethik bei Aristoteles, Humanistic Management und der Moralphilosophie und Epistemologie von Adam Smith. Der genossenschaftlichen Idee widmete sie sich in ihrer Dissertation „The Cooperative Idea as an Institutionalization of Adam Smith’s Sympathy Maneuver“. Viktoria Schäfer ist Senatorin im Senat der Wirtschaft. red

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