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Heidenheimer Zeitung von 20.05.2023

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Wochenende 36 Magazin In

Wochenende 36 Magazin In Yad Vashem gibt es einen Bestand von 41 Fotos aus dem „DP-Camp Heidenheim/Gunzenhausen“, bestehend im Wesentlichen aus drei Gruppen: Szenen aus dem Camp-Leben, Standfotos aus dem Theaterstück „Aufstand im Warschauer Ghetto“, das zu dessen viertem Jahrestag am 19. April 1947 im Camp aufgeführt wurde, und eine ganze Reihe von Bildern, die Verwüstungen in Camp-Büros nach der Razzia durch die Militärpolizei dokumentieren. Die Zuordnung ist falsch, im mittelfränkischen Heidenheim existierte nie ein DP-Lager. Heute ist sie ein Stadtteil wie jeder andere. Die Geschichte der Heidenheimer Voithsiedlung aber ist ungewöhnlich genug. So hatte die Witwe des Heidenheimer Ehrenbürgers Friedrich von Voith der Stadt zur Erinnerung an ihren 1913 verstorbenen Mann 300.000 Mark für einen gemeinnützigen Zweck gestiftet. Auf Vorschlag des damaligen Oberbürgermeisters Eugen Jaekle wurde schließlich der Beschluss gefasst, „Kleinwohnungen“ im Terrain „Hinter dem Stein“ zu errichten. Geboren war die Voithsiedlung. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren in den 300 Wohnungen ehemalige Kriegsteilnehmer und kinderreiche Familien eingezogen. Das änderte sich im Oktober 1945, als die amerikanische Besatzungsmacht anordnete, dass die Bewohner ihre Häuser zur Unterbringung sogenannter Displaced Persons (DP) zu räumen hatten. Und so lebten in der Voithsiedlung bis 1949 Menschen, die sich infolge des Krieges außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und nicht dorthin zurückkehren konnten. Die Voithsiedlung als Durchgangslager, mit Stacheldraht umzäunt. Am 29. Januar 1948 führte die amerikanische Polizei dort eine groß angelegte Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsaktion durch, Razzia in der Voithsiedlung Chaos nach dem Auszug der Displaced Persons. nachdem schon seit Bestehen des Lagers andauernde Schwarzhandel-Querelen kurz vorher eskaliert waren. Beteiligt waren 500 Angehörige der US-Constabulary, im Absperrdienst unterstützt durch 200 deutsche Landespolizisten. Die Schwäbische Donauzeitung (eine Heidenheimer Zeitung gab es noch nicht) berichtete darüber am Samstag, 31. Januar: „Bereits am Mittwochmorgen waren auf Grund von Feststellungen über umfangreiche Fälschungen amerikanischer Dollarnoten mehrere amerikanische Beauftragte zu Untersuchungszwecken im Lager erschienen. Sie wurden jedoch von den Verschleppten sehr ungnädig empfangen und verprügelt.“ Weiter hieß es in der SDZ: „Am Donnerstagmorgen gegen 6 Uhr umstellten daraufhin größere Verbände der amerikanischen Zonenpolizei unter Einsatz von Panzern die Voith-Siedlung und führten eine Großrazzia durch, bei der Falschmünzergeräte, Edelsteine, Devisen, gefälschte Lebensmittelkarten, Leder, Vieh und sonstige bewirtschaftete Lebensmittel und Waren in solchem Ausmaße beschlagnahmt wurden, daß zu ihrem Abtransport mehrere Lastwagenkolonnen notwendig waren. Neben dem Chef der Lagerpolizei wurden 60 verschleppte Personen verhaftet. Bei der Durchsuchung des Lagers wurde ein jüdischer Insasse, als er die Postenkette der Besatzungspolizei zu durchbrechen suchte, durch Bajonettstiche so schwer verletzt, daß er bald darauf im DP-Krankenhaus verstarb.“ Der Name des Getöteten wurde mit „Iukaru Iluz“ angegeben. Unter der Überschrift „Tiergarten in der Voithsiedlung“ schob die SDZ am 25. Februar nach, bei der Razzia seien „4 Ziegen, 1 Schaf, 102 Hühner, 29 Gänse, 11 Enten, 12 Truthühner, 17 Schweine, 1 Kaninchen, sowie 870 Pfund Rindfleisch und 2 Säcke mit etwa 180 Pfund Schweinefleisch sichergestellt“ worden. Die Anklagevertretung des Militärgerichts habe den Beweis geführt, dass diese Werte, über deren Besitz im Einzelnen keine bestimmte Person verantwortlich gemacht werden könne, illegal erworben worden seien. Die Tiere hätten angemeldet werden müssen, bei den erwähnten Fleischmengen sei gegen die Verbrauchsregelungsverordnung verstoßen worden. Da keine Eigentumsansprüche erhoben worden seien, habe das Gericht die Konfiszierung verfügt und die Sachen der Militärregierung übergeben „zwecks Weiterleitung an die deutschen Behörden zu einer allgemeinen nützlichen Verwendung“. Mit der Vermutung, in der scheinbar launigen Spöttelei der Überschrift stecke eine gehörige Portion Galle, wird man kaum fehlgehen. Bei den meisten Deutschen war immer noch Schmalhans Küchenmeister und von solchen Mengen an Fleisch – enorm selbst wenn man bedenkt, dass im Voith- Settlement damals 1900 DPs lebten – konnte man nur träumen.

Wochenende Magazin 37 Zur Illustration sei aus dem Wochenbericht des Oberbürgermeisters an den CIC vom 12. Dezember 1947 betreffs „Schwarzmarkttätigkeit“ zitiert: „Um den Viehaufkäufern im DP.Lager Voithsiedlung auf die Spur zu kommen, wurde am 8.12.47 ein Beamter der Schutzpolizei in Zivilkleidung mit dem Müllabfuhrauto in das Lager entsandt. Der Beamte, der sich mit den städt. Arbeitern beim Aufladen des Abfalls beteiligte, machte dabei folgende Feststellungen: In der Lenaustraße begegneten sie einem Handwagen, der mit etwa 2 - 4 Ztr. frischgeschlachtetem Fleisch beladen war. Der Handwagen wurde von einem auffallend großen DP. gezogen, während zwei weitere, die eine Metzgersäge und Messer bei sich führten, den Wagen begleiteten. Nach dem Aussehen dieser Personen zu urteilen, blutige Stiefel usw., mußten sie erst kurz zuvor das Stück Vieh geschlachtet haben. Kurze Zeit später sahen sie, dass das Fleisch im Hof der Wirtschaft zum grünen Kranz abgeladen und in einen Wellblechschuppen gebracht wurde. In diesem Schuppen, der gleichzeitig als Verkaufsstand benutzt wird, hingen bereits die Teile mehrerer zerlegter Rinder. Geschichten wie die mit dem geschlachteten Vieh (und deren gab es genug) machten natürlich sofort die Runde und befeuerten die ohnehin bestehende Missgunst, insofern die DPs gratis die Häuser der deutschen Eigentümer be- und, wie man argwöhnte, rücksichtslos verwohnten, und teils großzügig mit Nahrung, Zigaretten und Kleidung versorgt wurden und sich außerdem noch ein gutes Zubrot verdienen konnten. Im Januar 1948 etwa betraf dies 145 Bewohner der Voithsiedlung und 51 des Jewish Home in der ehemaligen Polizeischule, das war ziemlich genau jeder Zwölfte, Kinder und Säuglinge mitgerechnet: in der Verwaltung, im Magazin, als Fahrer, Handwerker, Bäcker, als Lehrer, im Sanitäts- und Polizeidienst usw. Im Prinzip waren alle diese Ausgaben letzten Endes von der deutschen Bevölkerung zu tragen. Außerdem war klar, dass die Gewohnheit, „displaced“ mit „verschleppt“ zu übersetzen, wie das in dem erwähnten Zeitungsbericht und auch in offiziellen Schreiben immer noch geschah, 1948 längst an der Realität vorbei ging. Unter den jüdischen DPs waren zwar auch auf deutschem Boden befreite KZ-Häftlinge, etwa die Juden, die bereits im Herbst 1945 im städtischen Altenheim einquartiert worden waren; in weit überwiegender Zahl waren sie jedoch erst ab 1946 in die US-Zone eingewandert, weil sie in ihren osteuropäischen Herkunftsländern keine Zukunft für sich sahen. Mit einer gewissen demütigen Dankbarkeit, die man insgeheim 1949 konnten die von der Militärregierung vertriebenen Bewohner in ihre Häuser in der Voithsiedlung zurückkehren. Voithsiedlung, sondern auch im Jewish Home durchgeführt wurden, sei gewesen, einen Fälscherring zu fassen, der angeblich innerhalb der Lager existierte. Unter den festgestellten und beschlagnahmten Gegenständen befanden sich jedoch weder Maschinen noch sonstiges Material wie Münzstempel, geeignete Pressen und Tinte, die darauf hätten hindeuten können. Die einzige Unregelmäßigkeit, die entdeckt wurde, war eine 2-$-Note, die stümperhaft mit normaler Tinte zu einer 100-$-Note „aufgewertet“ worden war. Der Name „Franklin“ war mit „Jefferson“ überschrieben. Haber betonte dies, weil in den „Stars and Stripes“ und in der deutschen Presse behauptet worden sei, dass Fälscherausrüstung und gefälschte amerikanische Banknoten bei der Aktion gefunden worden seien. Es sei nur recht und billig gegenüber den Lagerbewohnern, wenn der „unrichtige und anstößige Eindruck“, der durch diese Berichte entstanden sei, korrigiert würde. Im Allgemeinen sei die Razzia ordentlich durchgeführt worden. Es habe jedoch auch Beschwerden gegeben, dass Leute grob behandelt, herumgeschubst, mit Ellbogen gestoßen oder getreten worden seien. Teilweise hätten die Soldaten nicht die Geduld gehabt, auf einen Schlüssel zu warten, und hätten Schlösser einfach aufgebrochen und Türen eingetreten, etwa bei den Büros beider Lagerkomitees, wo auch Schriftstücke über den Boden verstreut und Möbel beschädigt wurden. Fälle von unverzeihlichem Vandalismus seien vorgekommen. Beispielsweise hätten die Soldaten in der Polizeischule einen Raum „in einem Zustand hinterlassen, den Was spielte sich vor 75 Jahren in der Voithsiedlung ab, als in den Häusern sogenannte Displaced Persons untergebracht waren? Der Heidenheimer Historiker Alfred Hoffmann hat zu den Ereignissen im Januar 1948 geforscht und zahlreiche Details über einen Toten, angebliche Geldfälscher und eine fragwürdige Berichterstattung zusammengetragen. vielleicht erwartete, konnte man jedenfalls bei den jüdischen DPs nicht rechnen. Dazu waren die Perspektiven einfach zu unterschiedlich. Die DPs, jung, wie die meisten waren, fühlten sich nicht als Bittsteller, sondern, gerade weil sie viel Schlimmes erlebt und überlebt hatten, auf Seiten der Sieger, selbstbewusst in einem Land, dessen Bevölkerung ihnen gegenüber in der Schuld stand, nicht umgekehrt. Und sich irgendetwas gefallen zu lassen kam erst recht nicht in Frage. Beides zusammengenommen bedeutete tendenziell ein schwaches Unrechtsbewusstsein in Eigentumsfragen und einen grundsätzlichen Widerwillen gegen jedwede Autoritäten. Zurück zum „Constabulary Raid“ vom 29. Januar 1948. Hierzu liegt ein undatierter Untersuchungsbericht von William Haber, Adviser of Jewish Affairs, vor, angefertigt im Auftrag der Militärregierung. Haber traf mit seinem Assistenten, Major Abraham S. Hyman, am Vormittag des 30. Januar in der Voithsiedlung ein. Den Rest des Tages verbrachte er im Lager, indem er mit zahlreichen Leuten über den Tod von Isaac Gluz, wie der Getötete jetzt genannt wurde, und über ihre Eindrücke während der Aktion sprach. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Spannung, die durch den Todesfall hervorgerufen worden war, sich gelegt hatte, verließ Haber Heidenheim um 17 Uhr, Hyman blieb in der Voithsiedlung bzw. im Jewish Home bis zum Mittag des 1. Februar und fuhr nach dem Begräbnis ab. Die Razzia habe zur Verhaftung von 19 Lagerbewohnern geführt: sieben davon wegen des Besitzes von übermäßigen Mengen von Nahrungsmitteln, Geld oder rationierten Gütern, zwei wegen verschiedener Vergehen und zehn in Verbindung mit dem Angriff auf die CID-Beamten. Hauptzweck der Durchsuchungen, die nicht nur in der Blick von oben: Von 1945 bis 1949 war die Voithsiedlung ein Durchgangslager für sogenannte Displaced Persons. Fotos: Yad Vashem (3), HZ-Archiv (4) nur ein heftiger Tornado in gleicher Weise hätte hervorrufen können“, und in dem Aufenthaltsraum einer Kooperative hätten sie die an den Wänden hängenden Fahnen heruntergerissen und mit ihren Bajonetten die Bilder palästinensischer (gemeint: israelischer) Führerpersönlichkeiten durchlöchert, die für die Betreffenden Helden darstellten. Klagen habe es auch über Diebstähle aus den durchsuchten Räumen gegeben, während deren Bewohner sich draußen in einer Linie aufstellen mussten. Zum Schluss drängte Haber darauf, zu überdenken, ob Bajonette bei solchen Operationen notwendig seien; in Zukunft unverzügliche ärztliche Hilfe sicherzustellen; die Soldaten sorgfältig auszuwählen und zu instruieren, Vandalismus und Plündereien zu verhindern und gegebenenfalls streng zu bestrafen; und nicht zuletzt, die unwahren Behauptungen in den Zeitungsberichten richtigzustellen. Letzteres geschah in der SDZ nicht, sodass bis heute der Verdacht bzw. die falsche Gewissheit im Raum steht, in den Lagern der Heidenheimer DP-Juden sei umfangreich Falschmünzerei betrieben worden. Überhaupt gefiel sich der zitierte SDZ-Text in Übertreibungen: Dann waren es 61, nicht 19 Verhaftete und nicht mehrere Lastwagen, sondern gleich mehrere Lastwagenkolonnen, die das unrechtmäßige Gut abtransportierten. Auch die hiesigen Vertreter der Militärregierung, die von der Aktion erst unmittelbar vor ihrem Beginn, nämlich beim Eintreffen der Constabulary in Heidenheim, erfahren hatte, hatten Kritik anzumelden. In der Eile habe man Schwierigkeiten gehabt, für Transport, Lagerung und Bewachung der beschlagnahmten Sachen zu sorgen. Die Sachen selbst seien gar nicht oder so schlampig gekennzeichnet gewesen, dass sie keinem Besitzer zugeordnet werden konnten. Außerdem seien viele Dinge ohne Sinn und Verstand konfisziert worden, wie etwa Küchengeräte oder Mopps. William Haber nahm den amerikanischen Posten in Schutz, wie auch die meisten der an der Heidenheimer Razzia beteiligten Soldaten. Dass auch unter ihnen antisemitische Ressentiments vorhanden waren, ist nach den Heidenheimer Vorgängen zumindest nicht von der Hand zu weisen. Aber es waren eben keine deutschen Soldaten, und so schlug der Tod von Gluz bei Weitem nicht die Wellen wie der des Auschwitz-Überöebemdem Sumuel Danziger bei einer Stuttgarter Razzia. Gluz, laut standesamtlichem Sterbebuch Isak Gluss, wohnhaft Voithsiedlung, Kantstr. 7, geboren am 25. Mai 1915 an unbekanntem Ort, ledig, wurde später mit anderen jüdischen DPs, die in

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