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Heidenheimer Zeitung von 20.05.2023

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2 THEMEN DES TAGES /

2 THEMEN DES TAGES / POLITIK Deutscher Pass schon nach drei Jahren Zuwanderung Integrationswillige Ausländer sollen rascher als bisher Deutsche werden können. Die Koalition hat sich auf ein neues Staatsbürgerschaftsrecht geeinigt. Leitartikel Igor Steinle zur Energiewende nach dem Fall Graichen Frische Luft nötig Die Entlassung von Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen hat in der Koalition für Wirbel gesorgt. FDP und SPD nutzen die Personalie, um die Grünen beim Heizungsgesetz unter Druck zu setzen. Der Fall regt aber über die Tagespolitik hinaus grundsätzlich zum Nachdenken über die Energiewende an. Er macht eine bedenkliche Schlagseite in der deutschen Klimapolitik sichtbar. Denn die Debatte um die Klimawende wird von einem Netzwerk aus Umwelt- und Klimaschutz-Organisationen wie Agora Energiewende, der Stiftung Klimaneutralität oder Stiftung Mercator bestimmt. Einige Unterstellungen gegen dieses Netzwerk sind zwar zweifellos übertrieben. Was sich aber mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass die Denkfabriken ein staatsgläubiger Ansatz aus Verboten, Vorschriften und Subventionen eint, der mit Marktwirtschaft wenig bis gar nichts zu tun hat. Graichen und seine Leute sind überzeugt, den einzig richtigen Weg zur Klimaneutralität in Deutschland bis ins Detail zu kennen. Sie glauben genau zu wissen, an welchem der unzähligen Rädchen im Maschinenraum der Energiewende dafür gedreht werden muss. Das Ziel ihres großen Öko- Sprungs nach vorn ist mehr oder weniger die Elektrifizierung aller Wirtschaftsbereiche, Wasserstoff soll nur dort eingesetzt werden, wo es gar nicht anders geht. Das Leitbild einer „All Electric Society“, einer rein elektrischen Gesellschaft, prägt ihr Denken. Dank großzügiger Förderung durch US-Stiftungskapital und einer engen Verzahnung mit der Politik, allen voran den Grünen, ist es dem Öko-Netzwerk gelungen, die Deutungshoheit über die Klimadebatte zu erlangen und andere Denkrichtungen an den Kommentar Dominik Guggemos zu den neuen Regeln für die Einbürgerung Karikatur: Heiko Sakurai Rand zu drängen. Grüne Politikerinnen und Politiker, die von der Stromstrategie geprägt sind, besetzen inzwischen strategische Spitzenpositionen in der Energie lobby und der Bundesnetzagentur. Die Stromstrategie stößt in vielen Bereichen jedoch an ihre Grenzen. Wasserstoff und seine Derivate könnten sich in vielen Betrieben, sogar in Teilen des Verkehrs und in zahlreichen Gebäuden als die bessere Alternative erweisen – wenn die Politik ihnen die Chance dazu gibt. Doch Graichens Wärmegesetz gaukelt Technologieoffenheit nur vor, in seiner jetzigen Form ist es ein Wasserstoff- Verhinderungsgesetz. Kritik an ihren Plänen tun die Grünen und ihre Vordenker pauschal als Klimaschutz-Verhinderung einer ominösen „fossilen Lobby“ ab. Das ist absurd. Die Energiewirtschaft hat längst Kurs auf das Ziel Klimaneutralität genommen. Allerdings führen viele Wege dorthin. Wer sich dabei auf die eigene Denkschule beschränkt, verteuert die Energiewende unnötig. Die Folge könnte die Deindustrialisierung sein. Eine Diversifizierung der Klimawende ist daher dringend nötig. Denn Wettbewerb sorgt auch beim Klimaschutz dafür, dass sich am Ende die beste Idee durchsetzt. Vieles spricht dafür, dass das in vielen Bereichen die Elektrifizierung sein wird. Das aber sollten nicht die Grünen unter sich ausmachen. leitartikel@swp.de Privileg mit Pflichten Um keine Verwirrung zuzulassen: bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts geht es nicht um Asyl und Migration und auch nicht um Fachkräftezuwanderung. Es geht um die Frage, wer unter welchen Umständen deutscher Staatsbürger werden darf. Die Koalition möchte dies erleichtern und dafür die zwingende Aufenthaltsdauer senken. Für alle, aber vor allem für Menschen, die „besondere Integrationsleistungen“ erbringen. Für Menschen, die qua Geburt deutsche Staatsbürger sind, mag sich das nicht immer so anfühlen, aber im globalen Vergleich ist es ein großes Privileg, alle Rechte, die dieses reiche und freie Land bietet, zu erhalten. Antideutsche Ressentiments, die in manchen Milieus zum guten Ton gehören, muss man sich leisten können. Doch aus den Rechten der Staatsbürgerschaft leiten sich auch Pflichten ab. Kritik wird pauschal als Verhinderung des Klimaschutzes im Namen einer fossilen Lobby abgetan. Und die gehen über die simple Einhaltung der hierzulande geltenden Gesetze hinaus. Dazu gehören Sprachkenntnisse genauso wie der Anspruch, für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu können. Das Gesetz der Ampel-Koalition setzt hier durchaus die richtigen Anreize, allerdings muss die Regierung aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht, die reine Aufenthalts dauer qualifiziere bereits für den deutschen Pass. Nicht nachvollziehbar ist, warum der liberale Justizminister Marco Buschmann politisch dafür kämpfen musste, die Behörden dazu zu verpflichten, genau hinzuschauen, ob antisemitische und rassistische Strafraten – die eine Einbürgerung ausschließen sollen – vorliegen. Das sollte das Interesse von uns allen sein. Rassisten und Antisemiten, die man nicht loswird, davon braucht Deutschland ganz sicher nicht noch mehr. Eine aus Indien stammende Frau hält nach der Einbürgerungsfeier ihren neuen Pass. Foto: Fabian Sommer/dpa Berlin. „Wir schaffen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht“, hatten die Parteien sich 2021 im Koalitionsvertrag vorgenommen. Aufgrund unterschiedlicher Ansichten bei SPD, Grünen und FDP stockte das Vorhaben. Was hat die Koalition vor? Einbürgerungen sollen erleichtert werden. Konnten Einwanderer bislang nach acht Jahren einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft stellen, soll dies künftig bereits nach fünf Jahren möglich sein. Im Falle „besonderer Integrationsleistungen“ soll die Frist sogar auf drei Jahre verkürzt werden. Zudem sollen Neubürger ihren bisherigen Pass behalten dürfen. Der Doppel-Pass würde zur Normalität. Welche Bedingungen sollen damit verknüpft sein? Bei diesem Punkt STICHWORT INHAFTIERTE SCHLEPPER Das ungarische Strafrecht sieht an sich langjährige Haftstrafen für Menschenschmuggel vor. Die Strafmaße reichen von 2 bis 20 Jahren. Ungarn liegt an der sogenannten Balkanroute, auf der Flüchtlinge und Migranten von der Türkei nach Westeuropa gelangen. Kanzleramtsminister Gergely Gulyas begründete den Schritt damit, dass die Inhaftierung ausländischer Straftäter zu teuer käme. Offiziellen Angaben zufolge sitzen derzeit 2600 Ausländer in Ungarn ein, beim überwiegenden Teil von ihnen handelt es sich um Straftäter, die wegen Schlepperei verurteilt sind. Das Nachrichtenportal „hvg.hu“ berichtete von einem afghanischen Menschenschmuggler, der sich nach seiner Freilassung nach Frankreich begab. Aber auch viele rumänische und serbische Schlepper würden nach dem Verlassen des Gefängnisses in Ungarn in westliche Länder fahren.dpa Zweifel an Dämmung Berlin. Mitten in der Debatte um die Novelle des Gebäude energiegesetzes (GEG) hat Bundes bauministerin Klara Geywitz (SPD) Zweifel an schärferen Dämmvorschriften für Häuser geäußert. Droht jetzt ein neuer Konflikt mit den Grünen? Geywitz hatte bei einem Baukongress vor wenigen Tagen gesagt, dass Fassadendämmung am Anfang noch sehr sinnvoll sei. Denn damit ließen sich Neben kosten sparen. Doch spätestens ab dem EH55-Standard sei fraglich, ob das Geld, das in die Dämmung gesteckt werde, in einem sinnvollen Verhältnis zur eingesparten Energie stünde. Bei der Produktion von Dämmstoffen entstünden Treibhausgase. EH55 bedeutet, dass das Haus 55 Prozent der Energie eines Vergleichsneubaus benötigt. Unterstützung bekommt Geywitz von der FDP. „Da bin ich vollkommen bei Bundesbauministerin Klara Geywitz“, sagte der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst, dieser Zeitung: „Beim nachhaltigen Bauen muss zukünftig die CO 2 -Einsparung im Mittelpunkt stehen. Es nutzt nichts, wenn wir ständig die Standards erhöhen, das Bauen dadurch immer teurer wird, aber dennoch der CO 2 -Ausstoß zu hoch bleibt.“ Sinnvoll sei eine grundlegende Reform des Gebäudeenergiegesetzes. Man müsse von der „Energieeffizienz zur Emissionseffizienz kommen“. Verhandlungen in der EU SPD, FDP und Grüne hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass zum 1. Januar 2024 für Aus- und Umbauten von Bestandsgebäuden die Standards so angepasst werden, „dass die auszutauschenden Teile dem EH70 entsprechen“. Für Neubauten sollte ab dem Jahr 2025 die EH40- Norm (40 Prozent der Energie eines Vergleichshauses) gelten. Wie dpa einen Sprecher des Grünen-geführten Wirtschaftsministeriums zitiert, sind diese Angaben nach wie vor gültig. Dämmen bleibe weiterhin wichtig. Darin Ungarn Orban lässt Schlepper frei Budapest. Die ungarische Regierung lässt Tausende von ausländischen Strafgefangenen frei, die derzeit in Ungarn Haftstrafen wegen Menschenschmuggels verbüßen. Einzige Bedingung ist, dass sie Ungarn binnen 72 Stunden verlassen, wie aus einer Verordnung von Ministerpräsident Viktor Orban hervorgeht. Die Freilassung ausländischer Schlepper ist nicht daran gebunden, dass die Delinquenten in ihr Heimatland zurückkehren. dpa Stichwort gab es die meisten Unstimmigkeiten. So beharrte die FDP darauf, dass Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben, nicht Staatsbürger werden können. Den Grünen ging das zu weit. Dennoch setzen sich die Liberalen durch. „Wir machen Einbürgerung für Menschen leichter, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben“, twitterte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Freitag. „Wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Nicht in den Sozialstaat.“ Ausnahmen soll es für langjährige Gastarbeiter geben, die ihren Arbeitsplatz unverschuldet verloren haben. Zudem soll Menschen die Staatsbürgerschaft verwehrt werden können, die sich rassistischer, menschenverachtender oder antisemitischer Handlungen strafbar gemacht haben. Staatsanwaltschaften werden ermuntert, Einwanderungsbehörden solche Straftaten aktiv zu melden. „Wer unsere Werte nicht teilt, kann nicht Deutscher werden“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Wird die Opposition mitziehen? „Die deutsche Staatsbürgerschaft wird auf ewig vergeben. Deshalb braucht es einen ausreichenden Zeitraum für die Integration und um zu prüfen, ob diese Integration gelungen ist“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm dieser Zeitung. „Dafür sind drei beziehungsweise fünf Jahre zu kurz.“ Das Gesetz der Ampel erhöhe das Risiko, dass nicht ausreichend integrierte Menschen eingebürgert werden, bemängelt er. Welche Vorteile bietet der deutsche Pass? Nur Deutsche dürfen an den Wahlen zum Bundestag oder zu den Landtagen teilnehmen. Der deutsche Pass berechtigt darüber hinaus bei Reisen zur Visafreiheit in vielen Ländern und zu konsularischem Schutz. In Deutschland leben rund zwölf Millionen Menschen ohne deutschen Pass. Wie geht es weiter? Der Entwurf wird zunächst von den Bundesländern und Verbänden geprüft. Im Sommer soll er vom Kabinett verabschiedet werden, danach müssen ihn Bundestag und Bundesrat beraten. Stefan Kegel Kommentar Klimaschutz Wegen der Sanierung von Häusern droht Streit in der Koalition. Bauministerin Klara Geywitz meldet Bedenken an. sind sich auch viele Experten einig. So befindet etwa die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, dass Dämmen nicht nur dem Klima nutze, sondern auch für den Geldbeutel sinnvoll sei. Entscheidend für die Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Sanierungen von Gebäuden werden die Beschlüsse auf EU-Ebene sein. Derzeit laufen in Brüssel Gespräche zwischen dem Europäischen Parlament und den Regierungschefs der EU-Staaten. Haben sich beide geeinigt, müssen die Mitgliedstaaten der EU die Sanierungspflicht anwenden. Das Parlament will, dass Wohngebäude bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 die Energieeffizienzklasse D erreichen sollen. Das könnte europaweit 35 Millionen Gebäude betreffen. In der EU geht die Skala von A bis G, in Deutschland reicht sie von A bis H. Die Nationalstaaten haben Spielraum, wie sie das Gesetz ausgestalten. Dorothee Torebko Blockaden Gewalt gegen Klima-Aktivisten Berlin. Mehrere Autofahrer in Berlin sind am Freitag gewaltsam gegen Aktivisten der Klimagruppe „Letzte Generation“ vorgegangen. Nach Angaben eines dpa-Fotografen zerrten sie auf der A100 in Höhe der Abfahrt Kurfürstendamm an Protestierenden, schlugen auf diese ein und traten sie, um sie am Festkleben zu hindern. Insgesamt hatten Aktivisten der „Letzten Generation“ am Morgen an insgesamt elf Standorten in Berlin den Verkehr blockiert, wie die Polizei mitteilte. dpa

Samstag, 20. Mai 2023 3 Hintergrund Die Rente der Babyboomer Oft stehen Sorgen um die Umwelt im Mittelpunkt: Wer hat noch eine Zukunft? Sie demonstrieren zu Zehntausenden und kleben sich auf den Straßen fest: Junge Menschen wollen mit ihren Protestaktionen deutlich machen, wie sehr sie sich um ihre Zukunft sorgen und was in der Politik falsch läuft. Die Schuldigen an Fehlentwicklungen, etwa in der Klimapolitik, so sehen es viele, sind die Älteren. Oder, wie es bei den Aktionen der „Fridays for Future“ heißt: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Mit der Klimabewegung ist zugleich ein neuer Generationenkonflikt ausgebrochen. Dabei schienen solche Auseinandersetzungen eher eine Sache der 1960er und 70er Jahre zu sein, als junge Menschen mit langen Haaren und lauter Rockmusik gegen das angeblich spießige Leben der Eltern rebellierten. Doch nun leben Junge und Alte anscheinend wieder in zwei Welten: der „moralisch korrekten“ und der einer angeblich organisierten Verantwortungslosigkeit. Wobei die Hauptkritik vieler Jüngerer lautet: Über Jahre und Jahrzehnte habt ihr zu sorglos gelebt – und wir müssen es ausbaden. Hans-Werner Wahl hat als Universitätsprofessor in Heidelberg schon viel zum Leben älterer Menschen geforscht. Er sieht in den Auseinandersetzungen auch einen Verteilungskampf, wie er dieser Zeitung sagt. „Und zwar in dem Sinne, dass Jüngere sehen, dass auch reiche Gesellschaften Knappheit kennen.“ Schon in den 1970er Jahren hätten die Wissenschaftler des Club of Rome auf „die Grenzen des Wachstums“ hingewiesen. Aber man habe jahrzehntelang weitergelebt, ohne Konflikt nimmt an Fahrt auf Demografie Klimakrise, Wohnungsmangel – viele Jüngere werfen den Älteren vor, ihre Zukunft zu gefährden. In Deutschland gibt es neue Auseinandersetzungen zwischen den Generationen. Von Michael Gabel Wer wie wählen geht Bei der Bundestagswahl 2021 waren 39 Prozent der Wählerinnen und Wähler 60 Jahre und älter. Grundsätzlich lässt sich mit dem Alter der Wählenden eine steigende Wahlbeteiligung beobachten: Bei den jüngsten Wählerinnen und Wählern beteiligten sich 70,5 Prozent an der Wahl. Darüber steigt dann die Wahlbeteiligung von Altersklasse zu Altersklasse bis über den Wert von 80 Prozent bei den Wählenden ab 50 Jahren und ab 60 Jahren. Lediglich in der höchsten Altersklasse der Wählenden ab 70 Jahren liegt die Wahlbeteiligung dann wieder erkennbar niedriger. sich einzuschränken und bekomme jetzt die Quittung in Form von Protesten. Großes Angstthema ist in allen Umfragen der Klimawandel. Sorgen machen sich viele Jüngere aber auch über die – zumindest gefühlte – Aussichtslosigkeit, jemals bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wegen der Knappheit werden wieder Ideen zum Wohnungstausch aktuell. Die wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Caren Lay, fordert, dass ältere Menschen, wenn ihnen ihre eigene Wohnung zu groß geworden ist, mit anderen Mieterinnen und Mietern tauschen können – „ohne am Ende mehr Miete zu zahlen“. Bei den Grünen gibt es ähnliche Vorstellungen. Und auch bei CDU und FDP gibt es Überlegungen, Beteiligten am Wohnungstausch 5000 Euro für Renovierung und Modernisierung zu spendieren. Graben nicht unüberwindlich Altersforscher Wahl ist skeptisch, ob solche Ansätze funktionieren. „Ältere Menschen wohnen oft seit Jahren am selben Ort. Sie haben dort ihre sozialen Bindungen und können deshalb nicht ohne Weiteres woanders neu starten.“ Nur in Fällen, in denen sich ältere Menschen verbessern könnten, indem sie etwa eine kleinere Wohnung, dafür mit Fahrstuhl, bekämen, ließe sich vielleicht etwas machen. Pauschale Forderungen, dass Ältere den Jüngeren Platz machen sollten, seien jedenfalls „nicht legitim“. Insgesamt sieht Wahl den Graben zwischen den Generationen aber nicht als unüberwindlich an. Zum Beispiel bei Diskussionen über die Klimakrise: „Wenn jemand etwas über Krisen weiß, Foto: Christoph Soeder/dpa dann sind das Ältere.“ Viele ganz Alte hätten noch den Zweiten Weltkrieg erlebt, andere die Phasen des Hungers und der Armut nach dem Krieg. Das seien „Dimensionen, die den Jüngeren fremd sind“, weshalb Gespräche darüber produktiv sein könnten. Man müsse „eine nicht-besserwisserische Form des Austauschs finden“, rät Wahl. Viele Ältere könnten mit dem Moralisieren mancher Jüngerer nicht viel anfangen. Es gehe aber darum, „gegenseitig die Argumente anzuhören und offen zu sein, um über alle möglichen Dinge nachzudenken und sie zu besprechen“. Er sehe „da viele Chancen.“ Inwiefern Parlamentswahlen geeignet sind, um auch den Interessen der jüngeren Generationen gerecht zu werden, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wissenschaftler Wahl ist der Überzeugung, dass eine reine Seniorenpartei keine Chance auf gute Ergebnisse hätte, auch wenn es weit mehr ältere als jüngere Wahlberechtigte gebe. Ältere gingen aber in der Regel nicht zur Wahl, um ihrer eigenen Generation etwas Gutes zu tun, sondern aufgrund allgemeiner politischer Erwägungen. Bei Jüngeren gibt es aber durchaus Kritik daran, was aus Wahlen am Ende hervorgeht und wie sie sich in Personalien niederschlagen. In der aktuellen Regierung liegen die Kabinettsmitglieder vom Alter her gerade einmal 18 Jahre auseinander. Die Jüngste ist Annalena Baer bock mit 42 Jahren, der Älteste Karl Lauterbach mit 60. Hinzu kommt der 64-jährige Kanzler Olaf Scholz. Jüngere? In der obersten Etage des Politikbetriebs kommen sie nicht vor. Die Folgen des demografischen Wandels für die Rentenkasse beschäftigen Politiker, Verbände und Medien seit Jahrzehnten. Immer wieder wird gewarnt, dass die Umlage finanzierung aufgrund der Bevölkerungsentwicklung nicht zu halten sei. Besonders schlimm sei der nun beginnende Renteneintritt der Babyboomer- Generation. Doch seitens der Deutschen Rentenversicherung (DRV) kommt nun Entwarnung – zum Teil. Laut Reinhold Thiede, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der DRV, steige die demografische Belastung nicht so stark wie in der Vergangenheit erwartet. Laut eigenen Berechnungen mit Daten der Bevölkerungsvorausberechnung der Statistischen Bundesämter halbiere sich der Anstieg der zuvor berechneten demografischen Belastung bis 2060. Und zwar aufgrund des sogenannten Alters quotienten – des Verhältnisses von Menschen im Rentenalter zu Menschen im Erwerbsalter. Aktuell kommen auf 100 Menschen im Erwerbsalter rund 35 Menschen im Rentenalter. Nach vergangenen Berechnungen sollten es bis zum Jahr 2060 etwa 55 sein. Die aktuellen Berechnungen gingen jedoch nur noch von knapp 45 aus, erklärte Thiede. Zum Vergleich: 1960 waren es gerade einmal 18. Der weniger starke Anstieg sei unterschiedlichen Faktoren geschuldet. Hauptsächlich unternahmen die Statistiker Anpassungen seit den Voraus berechnungen von 2015 und 2019 in den Bereichen Netto-Zuwanderung, Geburtenrate und Lebenserwartung. Versicherung gibt teilweise Entwarnung. So beträgt die Lebenserwartung für Männer im Jahr 2060 nicht mehr rund 84 Jahre und für Frauen nicht 88, wie 2019 noch berechnet, sondern jeweils rund ein Jahr weniger. Aktuell beträgt die Lebenserwartung 78,5 Jahre bei Männern, und rund 83 bei Frauen. Die Korrektur nach unten sei aber nicht Corona geschuldet. „Seit 2010 flacht sich der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung deutlich ab“, erklärte Thiede. Ein Punkt war Thiede dennoch sehr wichtig: Nur weil die Belastung weniger stark ansteige, seien die Herausforderungen in der Renten kasse noch nicht gelöst. „Falsch wäre es, nichts zu tun“, fügte er an. Dennoch mache ihm Hoffnung, dass in vergleichbaren Zeiträumen in der Vergangenheit stärkere Belastungsanstiege finanziell gemeistert wurden. „Das, was vor uns liegt, ist nicht größer als das, was wir in der Vergangenheit schon geschafft haben“, sagte er. Es gelte aus diesen Erfahrungen zu lernen und zu prüfen, welche Maßnahmen gegebenen falls erneut Anwendung finden könnten – und welche nicht. Jacqueline Westermann ZAHL DES TAGES 26 Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettete wurden, hat die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ in die italienische Hafenstadt Brindisi gebracht. Alle Überlebenden haben das Rettungsschiff „Geo Barents“ verlassen, wie die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ mitteilte. Die Schutzsuchenden waren am Dienstag an Bord genommen worden. epd G7-Staaten Peking dringt auf Kooperation Peking. China hat die Überlegungen der G7-Staaten, wegen wachsender Risiken ihre Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft zu verringern, als unbegründet zurückgewiesen. Zu den Diskussionen auf dem Gipfel der führenden demokratischen Industrienationen in Hiroshima sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Freitag: „Die Welt kann sich nicht entkoppeln und braucht keine Risikominderung.“ China schaffe Stabilität und keine Turbulenzen. dpa Begnadigung vor der Wahl Zimbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa (Mitte) hat 4270 Häftlinge begnadigt. Das Land mit 16 Millionen Einwohnern will im Juli oder August die Parlaments- und Präsidentschaftswahl abhalten. Foto: Jekesai Njikizana/afp Bremen SPD und Grüne sondieren Bremen. Nach dem Wahlsieg in Bremen hat die SPD mit Gesprächen über eine mögliche Regierungsbildung begonnen. Am Freitag trafen sich Vertreter von SPD und Grünen. „Wir sind unbedingt für die Fortsetzung des Bündnisses“, sagte Grünen-Landesvorstandssprecherin Alexandra Werwath. Die Grünen hatten bei der Bürgerschaftswahl deutlich an Stimmen verloren. Für den Nachmittag war ein Sondierungsgespräch mit der Linken geplant, am Samstag ist die CDU dran. dpa Iran Drei Männer hingerichtet Teheran. Im Iran sind drei weitere Demonstranten hingerichtet worden. Die Männer seien am Freitag exekutiert worden, berichtete das Justizportal Misan. Sie wurden beschuldigt, während der Demonstrationen gegen die iranische Staatsführung im November drei Sicherheitskräfte in Isfahan getötet zu haben. Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe nicht. Gemäß iranischer Rechtsauffassung wurden sie wegen „Kriegsführung gegen Gott“ angeklagt. dpa

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