4 POLITIK Freitag, 1. September 2023 „Nachhaltigkeit ist keine Luxusfrage“ Verbraucher Ist Umweltschutz in Zeiten steigender Energiepreise für die Menschen zu teuer geworden? Ramona Pop, Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, sieht das nicht so. Von Michael Gabel Es gebe durchaus „Spannungsfelder“ zwischen Umwelt- und Verbraucherschutz, sagt die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) und frühere Berliner Grünen-Senatorin Ramona Pop. Aber in den meisten Fällen gehe beides gut zusammen, sagt sie. Eine Umfrage Ihres Verbandes hat ergeben, dass die private Altersvorsorge das „mit Abstand drängendste“ Verbraucherproblem ist. Ist das so? Oder sind es doch eher Inflation und das Heizungsgesetz? Ramona Pop: Natürlich sind Inflationssorgen und Preissteigerungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmende Themen. Gerade die Lebensmittelpreise treiben die Menschen um, weil die Preissteigerungen dort deutlich höher sind als die allgemeine Inflation. An den gestiegenen Beratungszahlen in den Verbraucherzentralen sehen wir, wie sehr auch die Energiethemen die Menschen beschäftigen. Die Altersvorsorge ist seit Jahren ein großes Thema, wie wir auch vor Ort in den Beratungen merken. Viele Menschen sorgen sich: Bin ich für das Alter finanziell ausreichend abgesichert? Mit der Umfrage hat der vzbv geschaut, was die Ampel im Koalitionsvertrag Verbraucherinnen und Verbrauchern versprochen hatte, was zur Halbzeit der Legislaturperiode noch aussteht und was die Koalition als Nächstes angehen soll. Die Diskussion um das Heizungsgesetz zeigt ja, wie sehr die Menschen das Thema beschäftigt. Die Diskussionen um das Gebäudeenergiegesetz haben für große Verunsicherung gesorgt. Wir kritisieren seit Beginn der Debatte, dass es die Regierung versäumt hat, von Anfang an klarzumachen, wie bei einer neuen Heizung eine Förderung für die privaten Haushalte aussieht. Denn viele Menschen fragen sich, wie sie das bezahlen sollen. Nötig wären ein Gesetz und die Förderung aus einem Guss. Die Regelung der Förderung wird gerade nachgeholt. Auch die Frage, welche Bedeutung der Fernwärme künftig zukommen soll, wurde erst verspätet im Gesetzentwurf genauer geregelt. Der vzbv fordert seit vielen Jahren eine verbraucherfreundliche Fernwärmeplanung. Für mich ist es wichtig, dass das nun kurzfristig passiert, weil unsere Zustimmung zum Fernwärmeausbau daran hängt. Da gibt es noch einiges zu tun. Als die FDP dabei war, beim Heizungsgesetz die strengen Vorgaben zu entschärfen, drangen Sie darauf, das Gesetz schnell zu verabschieden. Sollte bei Gesetzen nicht gelten: gut vor schnell? Die regierungsinterne Diskussion hat tatsächlich viel zu lange gedauert, der Qualitätszuwachs hält sich dabei in Grenzen. Wir haben immer wieder gesagt, dass es Klarheit und Planungssicherheit braucht und eben keinen Koalitionsstreit. Solch ein Dauerstreit verunsichert die Menschen, ganz gleich, um welches Thema Moskau. Natürlich werde das Lehrbuch am ersten Tag an die Schüler ausgeteilt. „Aber ich werde den Kindern sagen, sie sollten es nicht zum Unterricht mitbringen“, sagt der Moskauer Geschichtslehrer Andrej M. (vollständiger Name der Redaktion bekannt). „Darin steht kaum ein wahres Wort, das ist pure Propaganda.“ Zum gerade beginnenden neuen Unterrichtsjahr erhalten die Schüler der russischen 11. Schulklassen ein neues Lehrbuch: „Die Geschichte Russlands. 1945 bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts.“ Die Autoren sind Experten eigener Art: Anatolij Torkunow, Korea-Fachmann und Rektor des Moskauer Staatsinstituts für Internationale Beziehungen. Aber vor allem: Wladimir Medinskij, Schriftsteller, Propagandist und Präsidentenberater. Das Buch, das seine Handschrift trägt, führt die Lernenden bis in Russlands blutige Gegenwart: Wladimir Putins „Spezialoperation“ gegen die Ukraine. Es ist ein Buch voller Begeisterung für russische Helden und voller Empörung über den feindlichen Westen. „Es geschah das nie Gesehene und es sich handelt. Das wissen wir doch: Eine zerstrittene Regierung trägt nicht dazu bei, dass sich Menschen gut aufgehoben fühlen und dass sie den Eindruck haben, dass eine verlässliche Politik gemacht wird. Zur Person Ramona Pop ist seit Sommer 2022 Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Zuvor war sie Wirtschaftssenatorin in Berlin. Pop wurde 1977 in Rumänien geboren. 1988 zog die Familie nach Deutschland um. Die Familie mütterlicherseits gehört zu den Banater Schwaben, die vom 17. Jahrhundert an im heutigen Rumänien angesiedelt wurden. Nach ihrem Abitur in Münster studierte Pop Politikwissenschaften in Münster und Berlin. 1997 wurde sie Mitglied der Grünen. Putins Spezial-Geschichtsbuch Undenkbare. Der Westen raubte alle Aktiva des Russischen Staates, die in auf seinen Banken lagen, insgesamt eine Summe von 300 Milliarden Dollar“, erfahren die Schüler über das Einfrieren der russischen Währungsdevisen durch USA und EU. „Solch fieberhafte Dieberei hätte sich nicht einmal Napoleon träumen lassen.“ Medinskij sagte bei der Präsentation Anfang August in Moskau, das Lehrbuch sei einfach zu lesen: „Es gibt deutlich weniger Zahlen, Daten und Statistiken, dafür mehr Geschichten über die Menschen.“ Aber durch die Verzögerung liegen mehr Optionen für das künftige Heizen auf dem Tisch. Ja, es sind einige Optionen mehr im Gesetzentwurf. Diese sorgen aber teilweise auch für Verwirrung – zum Beispiel die Öffnung für Gasheizungen, die mit Wasserstoff betrieben werden können, ohne die Frage zu beantworten, woher eine komplette zweite Infrastruktur für Wasserstoff herkommen und wer sie bezahlen soll. Für Verbraucherinnen und Verbraucher könnte das richtig kostspielig werden, weil grüner Wasserstoff bis auf Weiteres sehr teuer sein wird. Man hat gesehen: Umweltschutz ist nicht immer Verbraucherschutz. Es gibt Spannungsfelder. Deutschland hat sich bestimmten Klimaschutzzielen verpflichtet, da gehört auch die Wärmewende dazu und das ist auch richtig. Der vzbv unterstützt die Klimaziele von Paris und in Deutschland. Unser Russland Die Abschlussklassen lernen nach einem neuen Werk. Es ist voller patriotischer Imperative. Eine saubere Heizung ist teuer. Zu teuer für viele? Foto: Jan Woitas/dpa Anspruch ist es, dass auch die nachfolgenden Generationen von Wohlstand und guten Lebensbedingungen profitieren können. Der vzbv geht hier aber einen entscheidenden Schritt weiter: Um die Klimaschutzmaßnahmen, zum Beispiel beim Heizungstausch oder bei der energetischen Gebäudesanierung, bezahlen zu können, braucht es von der Regierung für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine ausreichende finanzielle Unterstützung. Nur dann wird ein Schuh draus. Ist Umweltschutz wünschenswert, aber nicht immer bezahlbar? Wir müssen weg von der Wegwerfgesellschaft. Nachhaltigkeit ist doch keine Luxusfrage. Die Folgen des Klimawandels muss die Allgemeinheit tragen, also wir alle. Deshalb braucht es politische Maßnahmen, die umweltfreundliche und nachhaltige Produkte zur einfachsten und günstigsten Wahl machen. Immer wieder rutscht das Geschichtsbuch in eine patriotische Predigt ab, statt der Vergangenheitsform hagelt es Imperative: „Seid wachsam. Denkt darüber nach, warum der ein oder andere Oppositionelle Nachrichten manipuliert.“ Oder: „Verpasst diese Chance nicht. Heute ist Russland wahrhaft das Land der Möglichkeiten.“ Andrej M. lehrt an einem Privatgymnasium in Moskau. Dort dürften die Pädagogen ihre Unterrichtsmaterialien selbst auswählen, sagt er. Seinen Kollegen an Staatsschulen fehle diese Möglichkeit, aber auch sie könnten eigene Quellen verwenden, um die Wirklichkeitslücken des Medinskij-Buches zumindest zum Teil zu schließen. Aber alle Lehrer, auch Andrej haben am Jahresende das gleiche Problem. Dann steht für die Elftklässler russisches Einheitsabitur an, es wird erstmals Fragen zur Spezialoperation geben. Teilweise müsse man dabei ausführlich auf Fragen aus dem Lehrbuch antworten, sagt Andrej. Auch seine Schüler müssen für gute Noten Antworten geben, an die selbst nicht glauben. Stefan Scholl FOTO: MATEO LANZUELA/EUROPA PRESS/DPA Ukraine fordert mehr Waffen Krieg Außenminister Kuleba verlangt von der EU zusätzliche Militärhilfe und wehrt sich gegen Kritik an Offensive. Kiew/Toledo. Angesichts erheblicher Verluste bei der Offensive gegen die russischen Invasoren hat die Ukraine die Mitgliedstaaten der Europäischen Union um weitere Waffen- und Munitionslieferungen gebeten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte am Donnerstag bei Gesprächen mit den Außenministern der europäischen Partner im spanischen Toledo Artilleriemunition, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer. Um Russland die Produktion von Raketen und Drohnen zu erschweren, forderte er einen verstärkten Kampf gegen die Umgehung von Sanktionen. Deutschland drängte er zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Kuleba rief Deutschland „konstruktiv, freundlich und ohne Druck“ auf, endlich Taurus- Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. „Es gibt wirklich kein einziges objektives Argument gegen diese Entscheidung“, sagte er. „Das ergibt Sinn, weil es unserer Gegenoffensive hilft und damit dazu beiträgt, den Krieg früher zu beenden“, fügte Kuleba hinzu. Frankreich und Großbritannien liefern bereits weitreichende Marschflugkörper. Als Grund für die bisher ausgebliebene deutsche Entscheidung gelten Befürchtungen, die Taurus könnten von der Ukraine auch auf Ziele in Russland abgefeuert werden und Russland dann Vergeltung üben. Es wird deswegen für möglich gehalten, dass sie vor einer Freigabe technisch so verändert werden sollen, dass sich Ziele in Russland mit ihnen nicht anfliegen lassen. Kuleba empfiehlt Front-Einsatz Kuleba reagierte mit drastischen Worten auf Kritik an der nur schleppend vorankommenden Offensive. Eine solche Kritik bedeute „dem ukrainischen Soldaten ins Gesicht zu spucken, der jeden Tag sein Leben hingibt und Kilometer für Kilometer ukrainischen Boden befreit“, sagte er. Er empfehle allen Kritikern, selbst zu versuchen, in der Ukraine einen Quadratzentimeter zu befreien. Unter anderem die „New York Times“ hatte berichtet, die ukrainischen Streitkräfte seien nach Einschätzung westlicher Militärstrategen zu weit verteilt aufgestellt und hätten deshalb Probleme, die russischen Linien zu durchbrechen. dpa Toledo: Außenminister Kuleba (l.) mit dem spanischen Amtskollegen Albares. Israel Toter und mehrere Verletzte Tel Aviv. Bei einer mutmaßlichen Auto-Attacke sind laut Medien am Donnerstag an einer Straßensperre zwischen Jerusalem und Tel Aviv ein Israeli getötet und weitere verletzt worden. Ein palästinensischer Lastwagenfahrer sei in eine Gruppe von Menschen gefahren. In der Nacht zum Donnerstag wurden zudem am sogenannten Josefsgrab in der palästinensischen Stadt Nablus ein israelischer Offizier und drei weitere Soldaten durch einen Sprengsatz verletzt. kna/dpa POLITISCHES BUCH Regieren im Ernstfall Stephan Lamby hat sich in den letzten Jahren als Dokumentarfilmer nicht nur einen guten Ruf erworben, sondern auch das Vertrauen der politischen Klasse in Berlin verdient. Der Autor blickt nicht durchs Schlüsselloch, sondern offenen Auges in den Maschinenraum der Regierung, er ist neugierig und doch diskret, er notiert ohne ideologische Voreingenommenheit. Dadurch hat er sich journalistische Möglichkeiten erschlossen, die wenige Beobachter in der Hauptstadt in ähnlicher Weise haben. Das macht sein Buch über die erste Hälfte dieser Wahlperiode zu einem beispiellosen Dokument, Lamby liefert das Drehbuch zu seinem TV-Film. Es ist überwiegend ein Protokoll, nur an manchen Stellen enthält es subjektive Bewertungen, am deutlichsten in einem knappen Epilog, der es an Kritik wegen fehlender klimapolitischer Ambitionen der Ampel nicht mangeln lässt. Den zentralen Akteuren der Bundesregierung – dem Kanzler und seinem Vize, der Außenministerin und dem Finanzminister – widmet Lamby die meisten Passagen seiner Chronologie. Dabei profitiert er von zahlreichen Vier-Augen-Interviews sowie von der Begleitung der Protagonisten bei ihren wichtigsten Auslandsreisen. Diese Beschreibungen können nicht alles erklären, was seit Vereidigung der Bundesregierung gut oder weniger gut lief, aber ein Schlüssel zum Verständnis der Politik, ihrer Chancen und ihrer Begrenzungen, liegt schon darin. Gunther Hartwig Stephan Lamby: Ernstfall. Regieren in Zeiten des Krieges. C.H.Beck Verlag, München 2023. 400 Seiten. 23,00 Euro. Taiwan USA genehmigen direkte Militärhilfe Washington. Inmitten von Spannungen mit China hat die Regierung von US-Präsident Joe Biden zum ersten Mal direkte Militärhilfe für Taiwan im Rahmen eines Hilfsprogramms für ausländische Regierungen genehmigt. Das US- Außenministerium informierte den Kongress über die Bereitstellung von 80 Millionen Dollar (rund 73 Millionen Euro) für diesen Zweck. Das Ministerium betonte, dass dieser Schritt nicht bedeutet, dass die Souveränität Taiwans anerkannt werde. afp Gabun Komitee ernennt Präsidenten Libreville. Nach dem Militärputsch gegen den langjährigen Präsidenten Ali Bongo Ondimba im westafrikanischen Gabun ist der General Brice Oligui Nguema zum Übergangspräsidenten ernannt worden. Oligui sei „einstimmig zum Präsidenten des Komitees für den Übergang und die Wiederherstellung von Institutionen, zum Übergangspräsidenten“ ernannt worden, sagte ein Offizier. Die USA und Großbritannien hatten zuvor den Militärputsch verurteilt. dpa
5 SÜDWESTUMSCHAU Freitag, 1. September 2023 Ein Mord für ein neues Leben? Anklage Eine Frau und ihr Bekannter sollen eine 23-Jährige mit 56 Messerstichen getötet haben. Ingolstadt/Eppingen. Sie soll für ein neues Leben mithilfe eines Bekannten eine Doppelgängerin umgebracht und ihren eigenen Tod vorgetäuscht haben – nun droht einer 24-Jährigen und ihrem gleichaltrigen mutmaßlichen Komplizen ein Prozess wegen gemeinschaftlichen Mordes. Eine entsprechende Anklage habe die Staatsanwaltschaft Ingolstadt zum dortigen Landgericht erhoben, teilte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag mit. Gut ein Jahr lang hatten Ermittler versucht, die Geschehnisse um den Tod einer 23 Jahre alten Frau aus Eppingen (Kreis Heilbronn) zu rekonstruieren. Derzeit geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die inzwischen 24 Jahre alte Verdächtige nach Familienstreitigkeiten um die Beziehung mit ihrem Ex-Freund ein neues Leben beginnen und deshalb ihren Tod vortäuschen wollte. Anfang August vergangenen Jahres habe die Deutsch-Irakerin deshalb begonnen, über verschiedene Instagram-Accounts Kontakt zu jungen Frauen aufzunehmen, die ihr ähnlich sahen. Ihrem späteren Opfer versprach sie demnach eine kostenlose Behandlung in ihrem Kosmetikstudio, wenn die 23-Jährige dafür Werbung auf Instagram mache. Zu einem vereinbarten Treffen soll die Verdächtige die Algerierin in Eppingen mit ihrem nun ebenfalls angeklagten Bekannten abholt haben. Auf der Fahrt nach Ingolstadt hätten die beiden die junge Frau in einem Waldstück unter einem Vorwand aus dem Erst bei der Obduktion kamen Zweifel auf. Auto gelockt, niedergeschlagen und mit 56 Messerstichen getötet. Danach hätten sie das Auto mit der Leiche der Frau in Ingolstadt abgestellt. Familie und Polizei hielten die getötete Algerierin zunächst irrtümlich für die nunmehr verdächtige Deutsch-Irakerin. Erst bei der Obduktion kamen Zweifel an der Identität auf. Die zunächst für tot gehaltene Frau sowie ihr Bekannter – ein Kosovare – wurden festgenommen. Die heute 24 Jahre alte Frau soll vor ihrem mutmaßlichen Doppelgängerinnen-Mordplan auch versucht haben, einen Bruder ihres Ex-Freundes töten zu lassen. Ihr mutmaßlicher Komplize soll in Untersuchungshaft erfolglos versucht haben, einen Mithäftling zur Tötung von Zeugen bei den Mordermittlungen zu bewegen. Die Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft. Die Frau habe weitgehend eingeräumt, versucht zu haben, den Bruder ihres Ex- Freunds umbringen zu lassen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Tötung der 23-Jährigen hätten beide bestritten. dpa Die Betreiber der Bahnnetze im Südwesten kämpfen mit vielen Problemen wie Baustellen und Personalmangel, viele Fahrgäste sind unzufrieden, die Qualitätsbewertung fällt immer schlechter aus. Foto: Felix Kästle/dpa Fast nur schlechte Noten Bahnnetze Das neue Qualitätsranking für den Zugverkehr soll diesen Monat veröffentlicht werden. Gute Bewertungen sind schon länger die Ausnahme. Von Alfred Wiedemann Punkte für Pünktlichkeit Die Bewertung der Qualität im Schienenpersonennahverkehr funktioniert mit den Daten des Landesverkehrsministeriums. Es gibt fünf Einzelkriterien. Drei davon, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Gesamtzufriedenheit der Fahrgäste, werden zu jeweils 25 Prozent gewichtet. Die Zugkapazität zählt 15 Prozent, die Sauberkeit in den Abteilen 10 Prozent. Bei der Gesamtwertung wird die Benotungen aus den Einzelkriterien ins Verhältnis zu den vertraglichen Zielwerten gesetzt. Berücksichtigt werden jeweils die Daten des letzten abgeschlossenen Halbjahrs. Das Ergebnis online auf www.bwegt. de/qualitaet. Sind Züge pünktlich, fehlen Wagen, sind Abteile sauber? Alle 29 Netze im Schienennahverkehr in Baden-Württemberg müssen sich seit 2021 einem Qualitätsranking stellen. Punktabzug gibt es dabei nicht nur für Verspätungen, Zugausfälle oder fehlendes Sitzplatzangebot. Auch das Urteil von Fahrgästen, die regelmäßig befragt werden, zählt. Das Qualitätsranking ist öffentlich, noch im September stehen nach Angaben des Verkehrsministeriums in Stuttgart die neuesten Bewertungen fürs erste Halbjahr 2023 an. Spannend wird, ob die Talfahrt der Qualität im Zugverkehr gestoppt wurde – oder ob es weiter bergab geht. Zuletzt konnte die Mehrzahl der 29 Bahnnetze wenig punkten: Auf der ersten Rangliste vor zwei Jahren verbuchten 14 Netze bei der Gesamtwertung 70 oder mehr Punkte. Im zweiten Halbjahr 2022 waren es nur noch vier. 22 Netze schafften zuletzt nicht einmal mehr 50 von möglichen 100 Punkten. Für diese Gesamtwertung werden Benotungen aus den Einzelkriterien wie Pünktlichkeit ins Verhältnis gesetzt zu den vertraglich vereinbarten Zielwerten fürs jeweilige Netz. Immer vorn – mit zuletzt 92 Punkten – ist das von den Schweizerischen Bundesbahnen SBB betriebene Klettgau-Netz. Die Strecke zwischen Schaffhausen und Erzingen im Südwestzipfel des Landes ist nur 19 Kilometer lang, aber in Sachen Pünktlichkeit und Co. ganz groß. Die Albbahn sicherte sich Rang zwei im aktuellen Ranking mit knapp 84 Punkten. Die Schwäbische Alb Bahn betreibt das ebenfalls kleine Netz mit 86 Kilometern von Ulm nach Gammertingen und von Amstetten nach Gerstetten. Platz drei: die Stadtbahn Heilbronn-Nord mit 78,52 Punkten. Platz vier der Seehas mit 76,64 Punkten, auch von den SBB betrieben. Drei der vier Netze waren schon im ersten Ranking 2021 im Spitzenquartett. Auf dem letzten Platz lag 2021 das Rheintal RB-Netz Offenburg- Freiburg-Neuenburg, damals mit 37 Punkten in der Gesamtwertung. 2022, bei der bisher letzten Bewertung, blieben nur 7,37 Punkte. Noch schlechter: Das Rheintal-RE-Netz, ebenfalls von der DB betrieben, mit 4,43 Punkten. Davor, auf Platz 27, das Hochrhein- Netz mit 8,38 Punkten, auf Platz 26 das Donau-Ostalb-Neigetechnik-Netz mit 11,79 Punkten und auf Platz 25 Stuttgart-Ulm-Bodensee mit 13.21 Gesamtwertung. Verglichen mit der ersten Wertung 2021 wird der Absturz deutlich: 46,3 Punkte holte sich das Donau-Ostalb-Netz 5 damals, Platz 22 von 29. Stuttgart-Ulm- Bodensee lag 2021 mit 44 Punkten auf Platz 24. Die Bodenseegürtelbahn auf dem vorletzten Platz 28 erreichte immerhin 38,74 Punkte. Logisch, dass der Betrieb von kleinen Netzen weniger störanfällig ist der großer Netze. Ganz fair ist der Vergleich also nicht. Abstriche in der Fahrqualität sind außerdem oft nicht selbst verschuldet, etwa wenn gebaut wird. Die Talfahrt bei der Qualität ist aber fast flächendeckend. „Die Werte sind auf ganz vielen Netzen völlig unbefriedigend“, sagt Matthias Lieb, der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Die Gründe seien vielfältig, auch im laufenden Jahr: Rund um Stuttgart zum Beispiel sei der Hauptgrund Stuttgart 21. „Die kurzfristigen Baumaßnahmen mit Streckensperrungen zur Vorbereitung des ,Digitalen Knoten Stuttgart‘, um das Projekt Stuttgart 21 überhaupt funktionsfähig zu machen, haben zu viel Durcheinander geführt.“ Bauarbeiten führen auch auf vielen anderen Strecken weiter zu Verspätungen. Dazu kommen massive Personalengpässe auf vielen Strecken bei fast allen Betreibern, nachdem die Fahrpläne zuvor abends und am Wochenende ausgeweitet wurden. „Das führt derzeit zu Fahrplankürzungen in den Sommerferien auf vielen Strecken“, so Lieb, meistens wegen fehlender Lokführer. „Im Nordosten des Landes wird sogar der Betrieb nachmittags wegen fehlendem Personal auf den Stellwerken ganz eingestellt.“ Verspätungen im Fernverkehr wirken sich auch auf den Nahverkehr aus. Fahrzeugprobleme haben ebenfalls Folgen. Das führt laut Lieb dazu, dass nicht genug Kapazität zur Verfügung steht oder Züge ganz ausfallen. „Verbliebene Züge sind dann überbelegt – mit entsprechend längeren Haltezeiten beim Ein- und Aussteigen, wodurch die Züge zusätzlich Verspätung erhalten.“ Fahrgast bleibt auf der Strecke Insgesamt sei die Situation unbefriedigend, sagt der VCD-Landeschef, nicht nur in Baden-Württemberg. Die Bahnreform habe zwar neue Organisationen geschaffen, es zeige sich aber, dass dabei das Funktionieren der Eisenbahn als Gesamtsystem verlernt worden sei. „Jeder optimiert sein eigenes System, der Fahrgast bleibt dabei öfter auf der Strecke.“ Der Bund als Eigentümer der Schienenwege des Bundes, die bundeseigene DB AG, die privaten Eisenbahnunternehmen und die Länder als Besteller des Nahverkehrs müssten dringend gemeinsam daran arbeiten, das System Eisenbahn wieder zu einem „pünktlichen, zuverlässigen Uhrwerk zusammenzufügen“, so Lieb. Land gibt mehr Geld für Werbung aus Bildung Mit großen Kampagnen wirbt das Kultusministerium um Lehrkräfte und Kita-Personal. Stuttgart. Auf der Suche nach Personal für Kindergärten und Schulen gibt die Landesregierung von Baden-Württemberg immer mehr Geld für Werbung aus. Das geht aus einer Antwort von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) auf eine Anfrage der FDP-Landtagsfraktion hervor. Demnach plant das Ressort für Werbekampagnen und Anzeigen 2023 knapp 1,3 Millionen Euro ein. Zum Vergleich: In den zehn Jahren zuvor liefen insgesamt nur knapp 850 000 Euro für solche Maßnahmen auf. Eine Million entfällt 2023 allein auf die Kampagne „Mehr bekommst Du nirgendwo“, mit der das Land Kita- Personal sucht. Für Werbeanzeigen für den Direkteinstieg an beruflichen Schulen gibt das Kultusministerium dieses Jahr 65 000 Euro aus. Eine umstrittene Kampagne zur Suche potenzieller Quereinsteiger an Schulen kostet 215 000 Euro. Ein inzwischen geändertes Plakat hatte Kritik von Lehrerverbänden ausgelöst. Schopper hält die Aktion aber für erfolgreich, weil die zugehörigen Internetseiten zuletzt oft angeklickt wurden. Der FDP-Abgeordnete Timm Kern, der die Anfrage gestellt hat, zieht diese Deutung in Zweifel: „Dass diese Klicks eher durch die lautstarke Kritik seitens der Medien, der Öffentlichkeit und der Verbände landes- und bundesweit zustande gekommen sind und nicht etwa, weil man aufrichtiges Interesse am Lehrerberuf hat, darauf kommt die grüne Ministerin offensichtlich nicht.“ hab Drohne verletzt Frau Unglück Fluggerät eines 18-Jährigen ohne Führerschein stürzt ab. Fronreute. Eine Frau ist im Landkreis Ravensburg von einer Drohne am Kopf verletzt worden. Ein 18-jähriger Mann hatte seine selbstgebaute Drohne am Mittwoch auf einem Feld bei Fronreute fliegen lassen. Wie die Polizei am Donnerstag mitteilte, soll seinen Angaben nach ein erster Flug erfolgreich verlaufen sein. Beim zweiten Flug geriet das Fluggerät außer Kontrolle und traf die 35-jährige Spaziergängerin mit großer Wucht am Kopf. Die scharfkantigen Rotoren hinterließen Schnitte im Gesicht der Frau. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Ermittlungen der Polizei ergaben, dass der 18-Jährige weder einen Drohnenführerschein noch eine Luftfahrt-Haftpflichtversicherung besitzt. Auch hatte er das Flugobjekt nicht registriert. Gegen ihn wird nun ermittelt. dpa Verkehr Rennen mit Krankenwagen Wutöschingen. Ein Autofahrer soll sich mit einem Krankenwagen ein Rennen geliefert haben. Der Unbekannte hatte einer Mitteilung der Polizei zufolge in der Nacht zum Donnerstag auf der Bundesstraße B314 bei Wutöschingen (Kreis Waldshut) mehrmals versucht, das Einsatzfahrzeug mit hoher Geschwindigkeit zu überholen. Der Notarzt brach seine Fahrt ab, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Die Polizei ermittelt nun und bittet um Zeugenhinweise. dpa 260 Liter Gin in Edelstahlkugel im Bodensee versenkt Romanshorn. Eine riesige Edelstahlkugel voller Gin ist am Donnerstag im Bodensee versenkt worden. Ein Schweizer Gin-Hersteller sagt, der Alkohol bekomme durch den 100 Tage langen Tiefgang eine besondere Note. Das soll mit dem Druck unter Wasser und der konstanten Temperatur von vier Grad zu tun haben. Die 260 Liter fassende Kugel ruht in etwa 20 Metern Tiefe. Das Unternehmen Fishgroup GmbH hat so eine Gin-Kugel schon mehrfach ins Wasser gelassen. Im vergangenen Jahr wurde sie nach Angaben des Unternehmens vom Seegrund gestohlen. dpa Vor der Versenkung: Die Kugel voller Gin liegt auf einem Podest. FOTO: DAVID PICHLER/TNN/DPA Gewalttat Vermutlich familiäres Motiv Freiburg. Nach der Gewalttat mit einem Toten und einer Schwerverletzten in Freiburg gehen die Ermittler von einem innerfamiliären Motiv aus. Der Zustand der schwer verletzten 64-jährigen Frau habe sich gebessert, heißt es in einer Mitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei vom Donnerstag. Ende Juli hatten Anwohner einen Streit in der Wohnung des Ehepaars gehört. Der 67-jährige Mann erlag noch vor Ort seinen Verletzungen. Zwei Tatverdächtige sitzen in U-Haft. dpa ZAHL DES TAGES 9,5 Millionen Euro an Spenden aus Württemberg sind im vergangenen Jahr beim evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ eingegangen. Das sei auf ähnlichem Niveau wie 2021, teilte das Diakonische Werk Württemberg am Donnerstag mit. Bundesweit kamen über 75,6 Millionen zusammen – das sind 12 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. epd
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