2 THEMEN DES TAGES / POLITIK Grundsicherung könnte bei bis zu 636 Euro pro Kind liegen Soziales Einen Gesetzentwurf hat Familienministerin Lisa Paus (Grüne) noch nicht veröffentlicht. Aber nun nennt sie erstmals Zahlen und erklärt, wie der Anspruch berechnet werden soll. Ist noch was zu retten? Leitartikel Guido Bohsem zum Zustand der Ampel-Koalition Aus oder Anfang? Kommentar André Bochow zu verschobenen Neuwahl der Linken-Fraktionsspitze Karikatur: Heiko Sakurai Immer wieder vor der erwartungsgemäß unspektakulären Klausurtagung der Ampel in Meseberg und auch danach stellen sich viele Menschen die Frage: Hält diese Koalition? Kann sie halten? Sollte sie halten? Kaum hatten die Minister das Gästehaus der Bundesregierung verlassen, die Schwüre von Eintracht und Geräuschlosigkeit hallten noch nach, da zettelte die FDP den nächsten Streit an. Die Atomkraftwerke sollen doch noch weiterlaufen, finden die Liberalen, und Sozialreformen soll es auch keine mehr geben. Es geht weiter im Takt und ein Ende ist nicht in Sicht. Denn bevor diese Koalition zerbricht, müsste einiges passieren. Es gibt Sollbruchstellen, klar. So könnte die FDP zum Beispiel die Koalition mit aufrechtem Haupt und für ihre Wähler nachvollziehbar verlassen, wenn SPD und Grüne die Schuldenbremse noch weiter aushebeln wollten als Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner das ohnehin schon zugelassen hat. Doch muss sich Lindner fragen, welche Möglichkeiten ihm dann noch bleiben, außer der Opposition. Die Antwort lautet: keine. Genauso geht es auch den Grünen (Atomausstieg), und der SPD sowieso. Olaf Scholz kann nur Kanzler bleiben, wenn beide Partner weiterhin mitmachen. Kein Wunder, dass er bei jeder Gelegenheit darauf hinweist, wie viel die Koalition schon geschafft hat und wie gut sie zusammenarbeitet – auch wenn er das gerne etwas geräuschloser hätte. Der Kanzler will sich sein Bündnis auf gar keinen Fall schlechtreden lassen. Er gibt den unerschütterlichen Ampel-Optimisten, um weiter Kanzler sein zu können. Die größte Gefahr für die Koalition droht ohnehin von außen. Man stelle sich nur einmal vor, das Bundesverfassungsgericht kommt zur Auffassung, dass die vielen Nebenhaushalte des Bundes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind, sie folglich auch nicht mehr als Reservetopf zur Verfügung stünden. Das Bündnis müsste einen ganz neuen Ansatz für eine Zusammenarbeit finden. Denn schon jetzt nähert sich die Methode der Großen Koalition einem Ende, alle Konflikte einfach mit mehr Geld beizulegen. Damals boomte die Wirtschaft, heute dümpelt sie in der Stagflation. Das engt die Spielräume ein Die Ampel dürfte stabiler sein als viele meinen. Neuwahlen würden zudem wertvolle Zeit kosten. und macht die Zusammenarbeit schwerer, weil alle Projekte Geld kosten. Wäre es also wünschenswert, vielleicht sogar besser für das Land, wenn die Koalition zerbräche? Das lässt sich nur mit Blick auf die Alternativen beantworten und die sind derzeit nicht wirklich plausibel. Weder würde die SPD ein Bündnis mit der Union eingehen (unter Friedrich Merz als Kanzler), noch würden FDP und Grüne geschlossen zur CDU/CSU wechseln. Bliebe als nur die Option Neuwahl. Einmal abgesehen von den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten eines solchen Weges, würde wertvolle Zeit im Kampf gegen die Konjunkturflaute verloren gehen. Nein, die Ampel dürfte stabiler sein als viele meinen. Der Zauber des Anfangs ist verflogen. Vor dem Bündnis liegt das tiefe Tal einer dysfunktionalen Zusammenarbeit bis zur nächsten regulären Wahl. leitartikel@swp.de Warten auf den Untergang Die Fraktion der Linken ist in Klausur gegangen – und wollte dabei auch Nachfolger für die scheidenden Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali finden. Stattdessen wurde die Wahl vertagt, weil es unter den 39 Fraktionsmitgliedern keine mehrheitsfähigen Kandidaten gibt. Wie auch, wenn das Ende der Fraktion besiegelt scheint? Es sind verrückte Tage bei den Linken. Und das will bei der krisengeschüttelten Partei schon etwas heißen. Kurz gesagt, ist es so: Die Partei wartet auf ihren Untergang. Zunächst wird wohl die Bundestagsfraktion dran glauben müssen. Entweder verabschieden sich demnächst einige ihrer Mitglieder und gründen eine eigene Gruppe. Oder Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht gründet zunächst ihre eigene Partei, und erst dann bildet sich eine solche Gruppe um sie. Aber selbst, falls es länger dauern sollte, dürfte spätestens bei der nächsten Bundestagswahl das Ende der roten Fahnenstange erreicht sein. Die Vorgänge in der Fraktion spiegeln den Zustand der Partei bestens wider. Genossinnen und Genossen stehen sich in feindlichen Lagern gegenüber. Fraktionschefs und Fraktionsgeschäftsführer geben entnervt auf. Realpolitiker ziehen sich zurück und kümmern sich nur noch um ihre Fachbereiche. Und die Parteiführung findet niemanden für die Fraktionsspitze, der mehrheitsfähig wäre. Die Linken haben ihre selbstzerstörerischen Kräfte sich so lange austoben lassen, dass es nun keine Zukunft mehr gibt. Der Parteikonvent Anfang der Woche hat gezeigt, dass die Linken keine Partei mehr sind, die noch irgendeine Aufgabe erfüllt. Sie würde eigentlich im Parteienspektrum gebraucht. Aber sie hat versagt. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nennt Eckpunkte für die Kindergrundsicherung. Foto: Kay Nietfeld/dpa STICHWORT BERG-KARABACH Berlin. Monatlich bis zu 530 Euro für jüngere, 636 Euro für ältere Kinder – diese Zahlen nennt Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) für die geplante Kindergrundsicherung. Wo kommen diese Beträge plötzlich her? Richtig klargemacht hat die Ministerin das nicht. Fest steht, dass die Kindergrundsicherung eine Kombination aus zwei Elementen sein wird: dem künftigen Garantiebetrag von 250 Euro, der dem jetzigen Kindergeld entspricht. Und dem einkommensabhängigen Zusatzbetrag, in dem auch pauschale Wohnkosten enthalten sein werden. Darüber hinaus richten sich die Beträge nach den Altersstaffelungen des Bürgergeldes. Bei der Berechnung der künftigen Leistungen hat Paus‘ Angaben zufolge auch eine Rolle gespielt, dass sich demnächst die Seit Monaten blockieren Aserbaidschaner den Latschin- Korridor, der Armeniens einziger Zugang zu Berg-Karabach ist. Beobachtern zufolge fehlt es dort unter anderem an Lebensmitteln und Medikamenten. Erst kurz vor der Forderung Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatten französische Politiker mitgeteilt, dass der Versuch gescheitert sei, einen Hilfskonvoi durch den Korridor zu schicken. Hintergrund der Blockade ist der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt um Berg-Karabach zwischen den Südkaukasus-Ländern Aserbaidschan und Armenien. Konnte sich die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region in den 1990er Jahren in einem Bürgerkrieg von Aserbaidschan lösen, so holte sich Aserbaidschan 2020 nach neuen Kämpfen über ein Waffenstillstandsabkommen die Kontrolle über einen Teil des Gebiets zurück. Eine russische Friedenstruppe soll die Einhaltung des Abkommens überwachen. Doch der Waffenstillstand ist brüchig. dpa Regelsätze beim Bürgergeld erhöhen werden – im kommenden Jahr ist eine Erhöhung von zwölf Prozent geplant. Für 2025, wenn die Kindergrundsicherung starten soll, geht Paus zunächst von einem Plus von weiteren drei Prozent aus. Welche Mittel bekommen derzeit Familien mit geringen Einkommen? Wer Bürgergeld bezieht (früher Hartz IV), erhält für Kinder bis 5 Jahren 318 Euro im Monat, von 6 bis 13 Jahren 348 Euro und von 14 bis 17 Jahren 420 Euro. Diese Regelsätze sollen aber steigen – auf 357 Euro, 390 Euro beziehungsweise 471 Euro. Wer derzeit den Kinderzuschlag bezieht, bekommt maximal 500 Euro – 250 Euro Kindergeld plus höchstens 250 Euro Zuschlag für Geringverdiener. In manchen Fällen kommt aber noch Wohngeld dazu. Berlin. Was den einen ihr Barockschloss in Brandenburg, ist den anderen ihr Romantikhotel im Sauerland. Nach der Klausur der Regierungskoalition in Meseberg hat sich die Oppositionsfraktion aus CDU/CSU in einen Traditionsgasthof in Schmallenberg zurückgezogen. Der liegt unweit der Heimat von Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz. Der Oppositionsführer will mit der rund 24-stündigen Tagung wohl auch die Schönheit seiner ländlichen Heimat vorführen, vor allem aber eines beweisen; dass die Union es insbesondere in Sachen Wirtschaft besser kann als die Regierung. Das allerdings erweist sich als gar nicht so leicht. „Die können es einfach nicht“, so oder so ähnlich lautet eine über Jahrzehnte gefestigte Überzeugung in der Union über die ökonomischen Kompetenzen – speziell von SPD und Grünen. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen auf die jüngsten Beschlüsse der Ampel aus: Reicht nicht, taugt nichts. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der zusammen mit Merz die Fraktionsvorstandstagung leitet, nannte die Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gar ein „Wohlstandsrisiko für Deutschland“. Sind die bis zu 636 Euro recht viel oder eher wenig? Dazu gehen die Meinungen stark auseinander. „Die genannten Beträge sind kein armutsvermeidender Anstieg, sondern der Erhalt des beklagenswerten Status quo“, kritisiert der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes, Daniel Grein, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss die kindlichen Bedarfe neu bemessen und sich nicht auf Aufwüchse beschränken, die durch die Inflation aufgefressen werden“, sagt er. Eine „Teilhabe am Leben“ – inklusive Kindergeburtstag und Fußballspielen – sei so nicht möglich. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) würde die Leistungen dagegen lieber so lassen, wie sie sind. „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung für Bildung und Integration für Kinder“, betont er. Nicht nötig seinen dagegen „mehr Transferleistungen für die Eltern“. Was ist mit der versprochenen automatisierten Auszahlung? Die wird noch sehr lange auf sich warten lassen. Probleme gibt es der Ministerin zufolge vor allem bei der Berechnung des einkommensabhängigen Zusatzbetrags. Unter anderem fehle noch die Schnittstelle zu den Finanzämtern, so Paus zum Fernsehsender RTL. Die Digitalisierung werde man deshalb nicht wie geplant „am 1. Januar 2025 fertig haben“. Michael Gabel Leitartikel Offen für „Brückenstrompreis“ Union Auf der Klausur im Sauerland erwärmt sich auch CDU-Chef Merz für eine Idee aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Berg-Karabach Baerbock fordert Hilfszugang Toledo. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat an Aserbaidschan und Russland appelliert, für einen humanitären Zugang zu der abgeriegelten armenischen Enklave Berg-Karabach zu sorgen. „Die Menschen in Berg-Karabach müssen das, was sie zum Leben brauchen, endlich bekommen. Der Latschin-Korridor muss frei sein für humanitäre Hilfe“, sagte sie am Rande eines EU-Außenministertreffens im spanischen Toledo. dpa Stichwort Strauß an Forderungen Die markigen Worte sollen allerdings wohl auch ein wenig darüber hinwegtäuschen, dass die Aufstellung der Union alles andere als eindeutig ist. Das gilt primär für das Thema Energiepreise. Atomlaufzeiten verlängern, Stromsteuer senken, Industriestrompreis einführen oder auf jeden Fall verhindern – so der Strauß an Forderungen. Merz deutete nun erstmals Offenheit für den umstrittenen Industriestrompreis an, den er aber lieber „Brückenstrompreis“ nennen möchte. Bislang wurde die Idee aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die zuletzt ausdrücklich auch von der SPD-Fraktion unterstützt wurde, als unzulässige Subvention verdammt. Andere in der Union können sich diesen Weg schon länger vorstellen. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) beispielsweise, Ministerpräsident des Industrielands NRW. Er räumt dabei ein, dass ihm der Plan durchaus gegen den ordnungspolitischen Strich gehe. „Aber wer keine bessere Antwort hat, nimmt die gute.“ Wüst zielt damit auch auf Scholz, der zuletzt trotz der Positionierung seiner Fraktion von der Idee noch nicht recht überzeugt war. Um die Firmen zu entlasten, kann sich nun auch Merz einen solchen Weg „vorstellen“. Aber, sagte er, „das Wichtigste ist, dass die staatlichen Lasten, die heute schon auf dem Strom liegen, gesenkt werden, bevor zusätzliche Subventionen gezahlt werden.“ Von der Ampel erwartet man ein durchgerechnetes Konzept für einen zeitlich begrenzten, auch für den industriellen Mittelstand wirksamen „Brückenstrompreis“. Ellen Hasenkamp Linksfraktion Neuwahl der Spitze verschoben Berlin. Die Linke hat die Wahl ihrer neuen Fraktionsspitze verschoben. Die für den kommenden Montag geplante Neubestimmung der Fraktionsführung sei „einmütig“ vertagt worden, sagte der erste parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Jan Korte. „Es gibt noch einige Dinge zu klären.“ Die bisherigen Ko-Fraktionschefs, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, seien bereit, in den nächsten Wochen weiter im Amt zu bleiben. afp Kommentar
Freitag, 1. September 2023 3 Hintergrund Laster an der Oberleitung Die Zukunft der Autobahn Infrastruktur Die Schnellstrecken sind für Umweltaktivisten das Symbol einer klimaschädlichen Verkehrspolitik. Aber es gibt Ideen, wie sie umweltfreundlicher werden können. Von Dorothee Torebko Das Start-up ecoro will mit seinem unterirdischen Transportsystem den Güterverkehr revolutionieren. Für die Automesse IAA in München haben sich Umweltschützer etwas Besonderes einfallen lassen: Am Sonntag wollen die Klimaaktivisten von Greenpeace, BUND und dem Verkehrsclub Deutschland den Schriftzug „Autobahn“ auf einer der Hauptstraßen Münchens mit Menschen nachstellen. Das Wort „Auto“ wollen sie durchstreichen. Die Botschaft: „Bahn statt Autobahn“. Die Autobahn entzweit die Gesellschaft. Für Umweltschützer ist sie das Symbol der Klimazerstörung und einer Mobilität von vorvorgestern. Sie steht für einen massiven CO 2 -Ausstoß, den sich diese Gesellschaft angesichts des Klimawandels nicht leisten kann. Zugleich kann das Industrieland Deutschland nicht auf Autobahnen verzichten, weil es strukturell von ihnen abhängig ist. Über 70 Prozent des Güterverkehrs wird über die Straße abgewickelt, auf der Schiene nur 19 Prozent. Um die Klimaschutzziele zu erreichen und die CO 2 -Emissionen im Verkehr massiv zu reduzieren, setzt die Bundesregierung auf beides: Bahn und Autobahn. Die Schiene wird durch die Digitalisierung, Elektrifizierung und die Sanierungen immer moderner und umweltfreundlicher, da sind sich Forscher und Unternehmer einig. Aber auch die Autobahn kann klimafreundlicher werden. Einen Vorgeschmack auf die Autobahn der Zukunft konnte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Sommer bekommen, als er sich ein Forschungsprojekt an der A81 westlich des Bodensees anschaute. Im Zuge der Koalitionseinigung zur Planungsbeschleunigung im Straßenbau hatten die Ampel-Partner zwar bereits vereinbart, dass an den Seiten der Autobahnabschnitte Solaranlagen aufgestellt werden. Das deutsch-schweizerischösterreichische Forscherteam geht auf der A81 aber noch einen Schritt weiter. Statt auf grüner Wiese zu bauen, haben die Wissenschaftler an der Raststätte „Im Hegau-Ost“ einen zehn Meter langen Autobahn-Abschnitt mit Solarpaneelen überdacht. Ziel des Forschungsprojekts ist es zu ermitteln, ob das Solardach unter realen Verkehrsbedingungen wirtschaftlich und sicher ist sowie dauerhaft betrieben werden kann. „Pro Meter Fahrstrecke kann man 4000 Kilowattstunden pro Jahr erzeugen. Das ist so viel, wie ein Einfamilienhaus oder ein Mittelklassewagen verbraucht“, erklärt Martin Heinrich vom Fraunhofer-Institut für Solarsysteme ISE, das als deutscher Partner an der Erforschung des Projekts beteiligt ist. Sinnvoll ist das System, so haben erste Ergebnisse gezeigt, vor allem dort, wo der Strom direkt genutzt werden kann: also in Tunneln oder für Ladesäulen an Raststätten. Aber ist das Ganze wirtschaftlich? „Eine Überdachung wird niemals so günstig sein wie eine Freiflächen-Solaranlage. Um die Sicherheit zu gewährleisten, muss man hier eine größere Stahl-Unterkonstruktion verwenden“, erläutert Forscher Heinrich. „Allerdings stellt sich die Frage, ob man es sich als Gesellschaft leisten will, immer mehr freie Flächen zu nutzen oder ob es nicht vielmehr sinnvoll ist, vorhandene Flächen zu überdachen.“ Trotz der vergleichsweise hohen Kosten würde sich das Solar-Dach am Ende rechnen. Das hängt damit zusammen, dass die Stahlkonstruktion für mehrere Jahrzehnte und damit auch mehrere Solar-Generationen gebaut würde, erläutert Heinrich. Eine flächendeckende Anwendung, heißt es in einer vorläufigen Analyse der Bundesanstalt für Straßenwesen, sei aus Kostengründen aber mittelfristig nicht zu erwarten. Dennoch käme gerade das einem deutschen Unternehmen ganz gelegen. Das Start-up ecoro aus Würzburg plant eine Revolution der Autobahn – und könnte Bundesverkehrsminister Wissing informiert sich über eine neuartige Photovoltaik-Straßenüberdachung. Foto: Silas Stein/dpa dabei auch Solarstrom gut gebrauchen. Die Idee von Gründer Daniel Daum sieht vor, dass Güter nicht mehr von Lastwagen auf der Straße, sondern unterirdisch in elektrischen, autonomen Shuttles transportiert werden. Diese bewegen sich auf zwei Fahrbahnen durch Beton-Tunnel, können Paletten von zweieinhalb Tonnen laden und mit bis zu 60 Kilometern pro Stunde fahren. In Logistikterminals werden die Waren be- und entladen. In Deutschland könnte man diese Güter-Tunnel zum Beispiel dann ins bestehende Netz implementieren, wenn Autobahnabschnitte saniert oder neu gebaut werden. Weniger Schwerlastverkehr Die Vorteile: Autobahnen werden durch die Reduktion des Schwerlastverkehrs weniger schnell abgenutzt. Durch die Automatisierung spielt der Fachkräftemangel keine Rolle mehr. Auch der Umwelt soll das System nützen. „Unsere Modellrechnungen haben ergeben, dass wir bei einer stark befahrenen Autobahn wie der A1 circa 5000 Tonnen CO 2 pro Kilometer pro Jahr einsparen können. Damit lassen sich die baubedingten Emissionen in einem Jahr amortisieren“, erläutert Geschäftsführer Christoph Tullius. Noch umweltfreundlicher soll das 47 Milliarden Euro investiert der Bund 2024 in die Straße, rund vier Milliarden mehr als 2023. Deutlich mehr wird für die Schieneninfrastruktur ausgegeben, nämlich 60 Milliarden Euro. Simulation: ecoro System werden, wenn der Produktionsprozess von Beton nicht mehr so energieintensiv ist. Hier ist das Start-up in Gesprächen mit Forschung und Industrie. Doch lohnt sich das Ganze? Warum sollten wir nicht einfach auf batterie- und wasserstoffbetriebene Lastwagen setzen? „Auch die Ladeinfrastruktur für Lkw, die ein Hochspannungsnetz erfordert, muss noch aufgebaut werden. Hier sind wir nicht so weit, wie es nötig wäre“, sagt Tullius. Hinzu kommt: „Eine Straße wird in Deutschland über 30 Jahre abgeschrieben. Dabei amortisieren sich gerade die Autobahnen mit Schwerlastverkehr über ihre Lebensdauer nicht, da sie vor Ablauf dieser Zeit saniert werden müssen“, erklärt er. „Bei uns wird der Eigentümer der neuen Straßeninfrastruktur an den Erträgen durch das unterirdische Transportsystem beteiligt. Dadurch kann er die initialen Ausgaben bereits nach acht Jahren voll refinanzieren.“ Auch ins politische Berlin haben die Unternehmer schon ihre Fühler ausgestreckt. „Es muss aber noch sehr viel passieren, damit wir in Deutschland alternative Systeme anbieten können – von der Entbürokratisierung bis hin zu veränderten Ausschreibungen“, gibt Geschäftsführer Tullius zu. Andere Länder sind da weitaus mutiger. In Saudi-Arabien bauen die Unternehmer bis 2025 eine Teststrecke von 300 Metern. Ist das Pilotprojekt erfolgreich, soll im Königreich ab 2027 eine 70 bis 200 Kilometer lange Strecke entstehen. „In Saudi-Arabien wollen wir zeigen: Es ist machbar. In Deutschland sind die Denkbarrieren noch größer. Aber wir glauben daran, dass wir unser System auch hier aufbauen können“, sagt Tullius. Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sah in ihnen die Zukunft des Straßengüterverkehrs, sein Nachfolger Volker Wissing (FDP) hat weniger für sie übrig: Oberleitungs-Lkw. In Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein gibt es Teststrecken für die Lastwagen, die den Gütertransport klimaschonend machen sollen. Doch wie umweltfreundlich sind sie wirklich? Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Transport von Gütern auf der Straße bis 2051 massiv ansteigen wird. Laut einer umstrittenen Verkehrsprognose soll der Straßengüterverkehr um 54 Prozent zunehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird vor allem beim Antrieb von Lastwagen über Alternativen nachgedacht. Das Verkehrsministerium setzt auf Wasserstoff, Batterieantriebe und die Brennstoffzelle. Doch diese Antriebe sind teuer und kaum am Markt verfügbar. Da könnten Oberleitungs-Lkw eine Lösung darstellen. Das System funktioniert so: Die Hybrid- Lkw hängen an Oberleitungen, die sie mit Strom versorgen. So laden sie ihre Bordbatterie. Wenn sie die Teststrecke verlassen, stellen sie auf Batteriebetrieb oder Dieselantrieb um. Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt begleiten das Projekt an der Autobahn 5 in Hessen. Finale Ergebnisse, wie umweltfreundlich das System ist, gibt es nicht. So viel steht aber fest: Je länger ein Oberleitungs-Lkw unter der Oberleitung fahren und Strom tanken Die Infrastruktur müsste in Deutschland erst aufgebaut werden. kann, desto mehr Treibhausgasemissionen kann er einsparen – im günstigsten Fall bis zu 100 Prozent. Die Autobahngesellschaft, die für das Projekt verantwortlich ist, stellt auf Basis der wissenschaftlichen Daten eine Beispielrechnung auf: Fährt ein Lastwagen auf einer Strecke von 34 Kilometern 17 Kilometer an der Oberleitung, kann er weitere 17 Kilometer mithilfe der aufgeladenen Batterie zurücklegen. Damit wäre er – zumindest was die Transportleitung angeht – klimaneutral unterwegs. „Wir können mit den Oberleitungs-Lkw einen Beitrag zum klimaneutralen Straßengüterverkehr leisten“, sagt Gerhard Lerch von der bundeseigenen Autobahn GmbH. Ob das Ganze wirtschaftlich sinnvoll ist, ist eine andere Frage, denn die Infrastruktur müsste erst aufgebaut werden. Aus der Industrie werden Zweifel laut. Insgesamt soll der Staat 190 Millionen Euro investiert haben. Um die Oberleitungen auf das gesamte Autobahnnetz auszuweiten, wären Milliardeninvestitionen nötig. Dorothee Torebko ZAHL DES TAGES 72 Prozent ihrer Einnahmen erhielten Arztpraxen 2021 aus Kassenabrechnungen. Etwa ein Viertel kamen dagegen aus Privatabrechnungen, fast vier Prozent aus sonstigen Tätigkeiten. Die durchschnittlichen Einnahmen je Arztpraxis lagen laut Statistischem Bundesamt bei 756 000 Euro und die durchschnittlichen Aufwendungen bei 420 000 Euro. afp Deutschunterricht Europarat kritisiert Polen Straßburg. Der Europarat hat Polen aufgefordert, Einschränkungen für Deutsch als Unterrichtssprache wieder rückgängig zu machen. Ein am Donnerstag in Straßburg veröffentlichter Sachverständigenbericht moniert „offensichtliche negative Folgen“, nachdem Polen den muttersprachlichen Schulunterricht für die deutschsprachige Minderheit im 2022 auf eine Stunde pro Woche gesenkt hatte. Andere Regional- oder Minderheitensprachen haben drei Wochenstunden. kna Mali Russland blockiert Sanktionen New York. Russland hat eine Verlängerung der internationalen Sanktionen gegen Mali um ein Jahr mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat blockiert. Die Russen verhinderten am Mittwoch in New York (Ortszeit) auch die weitere Mandatierung eines UN- Expertenteams, das Söldnern in Mali schwere Menschenrechtsverletzungen vorwirft. Der russische Vertreter in dem Rat erklärte, die Experten übten unerwünschten Einfluss auf Mali aus. epd Ukraine erhält Panzer und Munition Deutschland hat der Ukraine weitere zehn Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 A5 (Bild) zur Verfügung gestellt. Außerdem wurden weitere 13,1 Millionen Schuss Munition für Handfeuerwaffen geliefert. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa Großbritannien Wechsel im Ministeramt London. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace hat seinen Posten nach vier Amtsjahren aufgegeben. Er habe sich dazu entschlossen, schrieb Wallace am Donnerstag in einem Brief an Premier Rishi Sunak, denn es sei „Zeit für mich, in Teile meines Lebens zu investieren, die ich vernachlässigt habe“. Wallace hatte seinen Rücktritt bereits im Juli angekündigt. Neuer Verteidigungsminister wird der bisherige britische Minister für Energiesicherheit, Grant Shapps. afp
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