2 THEMEN DES TAGES / POLITIK In zwei Stufen zur Legalisierung Recht Der Eigenanbau von Cannabis soll kommen. Wer die damit verbundene Arbeit scheut, kann Mitglied in einem Club werden. Ob es aber spezielle Fachgeschäfte geben wird, ist offen. Leitartikel Stefan Kegel zur Emmanuel Macrons Aussagen zum Taiwan-Konflikt Karikatur: Jürgen Tomicek Ungünstiger Zeitpunkt Wie fern ist uns Taiwan? Oder wie nah? Wenn man sich Handys, Waschmaschinen, Fernseher oder Autos anschaut, umgibt uns die kleine Insel praktisch ständig. Jeder zweite Mikrochip weltweit wird in dem unabhängigen demokratischen Staat vor der chinesischen Küste produziert, den Peking als Teil seines Gebietes ansieht und sich nur zu gern wieder einverleiben möchte. Es galt bislang als allgemeiner Konsens, dass Taiwan als Teil der demokratischen Wertegemeinschaft jegliche Unterstützung gegen den übermächtigen Nachbarn verdient habe. Der Verbündete USA hat für diesen Fall sogar angekündigt, die Insel zu verteidigen. Der Aufschrei war also groß, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dieser Tage in einem Interview auf dem Rückweg aus Peking erklärte, Europa dürfe sich nicht in „fremde Krisen“ wie diese verstricken lassen, sondern müsse eine eigenständige strategische Position finden. Es laufe sonst Gefahr, sich zum Vasallen der USA zu machen. Die Bewertungen aus Deutschland reichten von Äußerungen wie „von allen guten Geistern verlassen“ bis „schwerer Fehler“. Unbestreitbar ist es nicht geschickt, sich inmitten des Krieges in der Ukraine von den USA zu distanzieren, eines Krieges, der die Europäer kalt erwischte und den Russland vor allem wegen der amerikanischen Unterstützung für Kiew bisher nicht für sich entscheiden konnte. Andererseits kommt Macrons Forderung nicht von ungefähr. Die „strategische Autonomie Europas“ trägt Macron schon seit seinem Amtsantritt als Ziel vor sich her. Bei aller Kritik lohnt es sich, diesen Gedanken einmal zu Ende zu denken. Kommentar Lisa Metzger zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens Die Veränderungen im politischen Gefüge der Welt verlangen es, dass Staaten oder Staatenbünde wie die EU ihre Interessen nach Prioritäten sortieren, um sich behaupten zu können. Das tun die Amerikaner übrigens auch. Das Schlachtfeld Ukraine haben sie nicht allein aus Mitmenschlichkeit betreten. Sondern weil die imperialen Ambitionen der nach Sprengköpfen größten Atommacht der Welt – Russland – ihre Interessen gefährden. Umso wichtiger wird sein, dass auch Deutschland sein Verhältnis zu China klärt. Es ist ein Armutszeugnis, dass Europa die Krisen vor seiner Haustür nicht ohne US-Führerschaft lösen kann. Die Forderung nach genau dieser Fähigkeit kann man aus Macrons Worten herauslesen – und die nach der eigenen Entscheidung, in welchen Fällen man der Supermacht folgt. Ob Taiwan das beste Beispiel dafür ist, sich aus internationalen Konflikten herauszuhalten, sei dahingestellt. Immerhin wären schon allein die wirtschaftlichen Folgen einer chinesischen Invasion auf der Insel für unser modernes Leben immens. Eine geeinte Drohkulisse gegenüber China könnte ein solches Szenario zumindest hinausschieben. Umso wichtiger wird sein, dass auch Deutschland sein Verhältnis zu China klärt und in die lang erwartete China-Strategie der Bundesregierung gießt. Außenministerin Annalena Baer bock kann jetzt Anschauungsmaterial sammeln, wenn sie am Donnerstag im Land der Mitte Station macht. leitartikel@swp.de Diese Strafe hilft keinem Hand aufs Herz: Wer ist schon mal ohne Ticket mit der S-Bahn oder Tram gefahren? Na und? Schwarzfahren ist ein Kavaliersdelikt, es gibt schließlich Schlimmeres, mag manch einer denken. Wer allerdings mehrmals ohne Fahrschein fährt und erwischt wird, dem kann auch schnell eine Gefängnisstrafe drohen. Denn Schwarzfahren ist in Deutschland eine Straftat. Eine Mehrheit der Deutschen findet das völlig überzogen und würde laut einer Umfrage Schwarzfahren künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit ahnden. Statt Gefängnis droht bei Zahlungsverzug dann die Pfändung. Es wäre eine Entscheidung, die man trotz Bedenken nur begrüßen könnte. Nicht nur, weil es Gerichte und Gefängnisse entlastet, sondern weil es gesellschaftlich vernünftiger ist. Wer regelmäßig schwarzfährt, hat seine Gründe. Sicher, manch einer will einfach nicht zahlen und profitiert auf Kosten anderer. Das ist ärgerlich und schadet den Unternehmen. Doch es gibt auch die andere Seite: jene vielen Menschen, die schwarzfahren, weil sie es sich nicht leisten können. Einkommensschwache haben hier das Nachsehen. Wohnen sie doch meist am Stadtrand, wo zwar die Mieten für gewöhnlich niedriger sind, die Arbeitswege aber oft umso länger. Sie sind auf Mobilität angewiesen. Schwarzfahren ist falsch, ja. Aber Menschen, die es tun, weil ihnen das Geld fehlt, mit Gefängnis abzustrafen, ist absurd und nicht zielführend. Dass sie nach der Haft brav ihre Tickets zahlen und problemlos wieder in den Alltag finden, ist wohl kaum zu erwarten. Das Geld kommt damit ohnehin nicht wieder rein. Das Strafmaß hilft also nicht, es führt nur zu mehr Problemen. Darum ist eine Änderung überfällig. Bald auch zuhause erlaubt: Blühende Cannabis-Pflanze, hier in einer professionellen Produktion. Foto: Sebastian Kahnert/dpa Berlin. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat gemeinsam mit Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) die überarbeiteten Pläne für die Legalisierung von Cannabis vorgestellt. So soll es weitergehen. Cannabis-Clubs – was kann man sich darunter vorstellen? Die Clubs sind Teil des ersten Schritts der Legalisierung. Wer Cannabis konsumieren, aber nicht selbst anbauen möchte, kann Mitglied in einem Cannabis-Club werden – und gemeinsam mit anderen anbauen. 25 Gramm Cannabis darf man dort erwerben, pro Monat maximal 50 Gramm (für unter 21-Jährige sind es 30). Die Vereine müssen nicht-gewinnorientiert aufgestellt sein und dürfen maximal 500 Mitglieder haben. Lauterbach verspricht sich davon schnelle, spürbare Effekte auf den STICHWORT ENTWICKLUNGSHILFE Fachleute führen den Anstieg der Entwicklungshilfe vor allem auf die hohen Ausgaben für Flüchtlinge in den Geberländern selbst sowie auf die stark gestiegene Unterstützung für die Ukraine zurück. Insgesamt entsprach die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) rund 0,36 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Geberländer. Damit wurde das UN-Ziel, mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, abermals weit verfehlt. Fünf Länder erreichten das 0,7-Prozent-Ziel. Deutschland schaffte dies mit einem Anteil von 0,83 Prozent zum vierten Mal. Insgesamt habe Deutschland 33,3 Milliarden Euro an Entwicklungsgeld ausgegeben, teilte das Bundesentwicklungsministerium mit. In die ODA-Quote eingerechnet werden öffentliche Gelder, die für die Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung armer Länder ausgegeben werden. epd Schwarzmarkt. „Die Clubs sind im Aufbau sehr viel einfacher, da es nach dem Vereinsrecht geht.“ Der Deutsche Hanfverband begrüßt Cannabis-Clubs grundsätzlich. „Es ist gut für die, die mehr konsumieren“, sagt Geschäftsführer Georg Wurth dieser Zeitung. Er verspricht sich von den Vereinen auch Kostenvorteile für die Konsumenten. Allerdings würden, ohne entsprechende Alternativen, Gelegenheitskonsumenten weiterhin auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, sagt Wurth. „Der letzte Schritt der Legalisierung ist deswegen weiterhin wichtig.“ Was ist aus den lizenzierten Fachgeschäften geworden? Die sollen nach Angaben von Lauterbach erst in einem zweiten Schritt kommen, nach erfolgreichen regionalen Modellprojekten. „Ohne Auf schwieriger Mission Peking. Der Andrang in Peking ist immens. Allein in der vergangenen Woche waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu Gast. Am Mittwoch kam Brasiliens Staatschef Lula da Silva, am Donnerstag kommt Außenministerin Annalena Baerbock zu Besuch. Auf die Grünen-Politikerin kommt eine besondere Aufgabe zu. Sie muss unter anderem dem Eindruck entgegenwirken, den Macron in einem Interview erweckt hatte, wonach sich Europa im Falle eines Konfliktes um Taiwan nicht automatisch an den USA oder China orientieren solle. „Das Schlimmste wäre es zu denken, dass wir Europäer Mitläufer seien und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten“, sagte Macron. Angesichts der chinesischen Drohungen und Militärübungen rund um den Inselstaat will die Ministerin nun ein Signal der Geschlossenheit des Westens senden. Es gehe ein Stück weit um Schadensbegrenzung, hieß es im Auswärtigen Amt. Das dürfte Baerbock nicht leicht fallen. In der Vergangenheit hatte sie sich wiederholt kritisch über die Menschenrechtspolitik des Landes geäußert und strebt in der China-Strategie, welche ihr Haus gerade ausarbeitet, einen deutlich strengeren Kurs gegenüber Peking an als es dem Kanzleramt lieb ist. Modellprojekte wären sie nicht darstellbar gewesen“, sagt Lauterbach. An die zweite Säule gehe er ergebnisoffen heran. Deshalb könne er auch nicht ausschließen, dass es letztlich bei der ersten Säule bleibt. Wie soll der Jugendschutz garantiert werden? Werden Minderjährige beim Konsum von Cannabis erwischt, sollen sie verbindlich ein Präventionsprogramm besuchen müssen. „Es wird immer klarer in der Wissenschaft, welche Folgen der Konsum bei Kindern und Jugendlichen hat“, sagt Lauterbach. Sie würden später seltener studieren und die Veränderungen im Gehirn würden später zu einer stärkeren Anfälligkeit für Depressionen und Psychosen führen, so Lauterbach. „Der Jugendschutz ist das zentrale Ziel.“ Können Brüssel oder der Bundesrat das Vorhaben noch stoppen? Laut Özdemir nicht. Er sagt, dass beide Säulen im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig seien. Sicher ist: Die erste Stufe benötigt nicht die Zustimmung der EU-Kommission, die zweite schon. Wie sieht der weitere Zeitplan aus? „Der Konsum soll noch in diesem Jahr legal werden“, sagt Özdemir. Der Gesetzesentwurf dafür solle noch in diesem Monat vorgestellt werden. Für die Modellprojekte versprach Lauterbach, nach der Sommerpause ein Eckpunktepapier vorzulegen. Dominik Guggemos Taiwan-Konflikt Bei ihrem Besuch in China will Außenministerin Baerbock den Eindruck europäischer Zerstrittenheit geraderücken. Entwicklungshilfe Ausgaben auf Rekordhoch Paris. Die Industrieländer haben im vergangenen Jahr so viel Geld für die öffentliche Entwicklungshilfe ausgegeben wie nie zuvor. Wie die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mitteilte, stieg die Entwicklungshilfe der Geberländer auf 204 Milliarden US-Dollar (186 Milliarden Euro). Das entspreche einem Zuwachs um 13,6 Prozent gegenüber 2021 – bereits damals lagen die Ausgaben auf Rekordhöhe. epd Stichwort Konflikt mit dem Kanzleramt Bundeskanzler Olaf Scholz setzt im Verhältnis zum Reich der Mitte eher auf Dialog. Besonders stolz ist er darauf, dass er dem chinesischen Staatschef und Russland-Verbündeten Xi Jinping bei seinem China-Besuch im vergangenen Jahr den Aufruf an Moskau abringen konnte, dass ein Einsatz von Atomwaffen im Ukraine- Konflikt inakzeptabel sei. Immerhin gilt der russische Überfall auf die Ukraine – und die westliche Reaktion darauf – als Blaupause dafür, welche Konsequenzen ein Einmarsch Chinas in Taiwan haben könnte. Die kürzlichen chinesischen Manöver waren weltweit als Säbelrasseln gegenüber dem demokratischen Nachbarland vor der Küste interpretiert worden. Besuche hochrangiger westlicher Politiker in Taiwan und die USA-Reise von Präsidentin Tsai Ing-wen hatte in China missbilligende Reaktionen hervorgerufen. Man erwarte von China einen Beitrag zu Stabilität und Frieden, sagte eine Außenamtssprecherin am Mittwoch. „Wir haben den Eindruck, dass Maßnahmen wie militärische Drohgebärden diesem Ziel entgegenstehen.“ Bei Baerbocks Besuch in der Volksrepublik China soll es neben der Taiwan-Frage und dem deutsch-chinesischen Verhältnis auch um den Ukraine-Konflikt gehen. In diesem hatte China sich einerseits an die Seite Russlands gestellt, sich andererseits aber auch als Friedensvermittler angeboten. Stefan Kegel Leitartikel Bundeswehr Reiseauftakt mit Flugzeugpanne Niamey. Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) sind mit einer technischen Panne in ihren Besuch in Afrika gestartet. Nach der Landung auf dem Flughafen der nigrischen Hauptstadt Niamey löste eine Notrutsche des Luftwaffen-Airbus aus. Das Flugzeug könne aber weiter genutzt werden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Beide Minister machen eine mehrtägige Reise in die Sahelregion. dpa
Donnerstag, 13. April 2023 3 Das Paul-Ehrlich-Institut hat bis Ende Oktober 2022 fast 51 000 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen von Corona-Impfungen registriert. Foto: Moritz Frankenberg/dpa Tino Sorge muss sich wundern: Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Pandemie endgültig abgehakt war, entdeckte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Thema „Schwere Corona-Impfschäden“. Dabei habe Lauterbach, so der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, „lange Zeit bestritten, dass es Impfschäden überhaupt gibt“. Seine Kehrtwende sei viel zu spät erfolgt und habe nichts verändert. „Nach wie vor hat die Erforschung und Behandlung von Impfschäden für die Ampel keine besondere Priorität. Bei den Betroffenen kommen keine neuen Hilfsangebote an.“ Tatsächlich nahm Lauterbach im März ziemlich überraschend Impfschäden („Post Vac“) in den Blick. Hatte der SPD-Politiker zuvor doch lange für eine Impfpflicht für alle Bürger ab 18 Jahren getrommelt und die Impfung gern als so gut wie nebenwirkungsfrei bezeichnet. Der Minister hantiert mit der Zahl, dass auf 10 000 Impfungen annähernd eine schwere Nebenwirkung komme. Bei 192 Millionen verimpften Dosen käme man so auf rund 19 000 Betroffene. Doch genaue Zahlen existieren nicht. Was es gibt, sind Verdachtsfälle, die das Paul-Ehrlich-Institut sammelt. Das sagt in einem Bericht, der den Zeitraum vom Beginn der Impfkampagne Ende 2020 bis Ende Oktober 2022 umfasst, man habe 333 492 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und 50 833 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen registriert. Das entspreche für schwerwiegende Reaktionen 2,7 Fällen pro 10 000 Dosen. Nur: Einerseits ist unklar, wie viele Verdachtsfälle sich bestäti- Schäden nach der Impfung Corona Lange Zeit hatte Karl Lauterbach für eine Pflicht zur Immunisierung für alle Bürger ab 18 Jahren getrommelt. Nun will der Bundesgesundheitsminister Opfern von Nebenwirkungen helfen. Von Hajo Zenker Amt entscheidet Unter einem Impfschaden wird offiziell „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“ verstanden. Die Beurteilung, ob eine im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung eingetretene gesundheitliche Schädigung durch das Vakzin verursacht wurde, ist Aufgabe des Versorgungsamtes im jeweiligen Bundesland. Gegen einen negativen Bescheid des Versorgungsamtes kann man bei den Sozialgerichten vorgehen. Betroffene klagen aber auch direkt gegen die Impfstoffhersteller. Ein Anwalt erwartet eine „Sachverständigenschlacht“. gen. Andererseits gibt es viele Berichte, dass Ärzte den Verdacht von Patienten, es könne sich um einen Impfschaden handeln, nicht ernst nehmen würden. Oder dass der hohe bürokratische Aufwand so manchen Mediziner von der Meldung abschrecke. Der Virchow-Bund als Verband der niedergelassenen Ärzte fordert ein einfacheres Meldesystem. Auf der anderen Seite stehen die wenigen Zahlungen, die der Staat an Impfopfer leistet: Bis Mitte März wurden 6977 Anträge bei den Versorgungsämtern der Länder gestellt, von denen 301 bewilligt wurden. Rund 2300 wurden abgelehnt, die meisten sind noch in Arbeit. Dabei moniert etwa die Kanzlei Cäsar-Preller aus Wiesbaden, dass Betroffenen viele Steine in den Weg gelegt würden. Und wenn es Geld gebe, so Anwalt Joachim Cäsar-Preller, handele es sich nur um Beträge von monatlich 154 bis 814 Euro. Die Kanzlei geht zudem gegen Impfstoffhersteller vor. Sie vertritt 850 Menschen und hat bisher 50 Klagen eingereicht, um Entschädigungen zu erstreiten. Die Düsseldorfer Kanzlei Robert und Ulbrich wiederum vertritt 810 Menschen, die gegen Biontech und Moderna vorgehen wollen. Daraus wurden bisher 135 Klagen. Anwalt Tobias Ulbrich moniert, dass die Bundesregierung die Bevölkerung über die Nebenwirkungen nur unzureichend aufgeklärt habe. Er glaubt, dass die tatsächlichen Fallzahlen „um ein Vielfaches höher sind als die gemeldeten Zahlen. Das liegt unter anderem daran, dass es keinen finanziellen Anreiz für Ärzte gibt, Impfschäden zu melden. Zudem haben die Ärzte schließlich oft selbst das Vakzin ver impft“. Auch Karl Lauterbach scheint von vielen Betroffenen auszugehen. Warum sonst würde er die Der erste Zivilprozess gegen Bion tech. Hersteller auffordern, sich an Zahlungen für Geschädigte zu beteiligen? Schließlich hatte die Bundesregierung in Person seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) mit dafür gesorgt, dass in der EU, um schnell an Vakzin zu kommen, Hersteller von der Haftung befreit wurden. Deutschland kommt so für Gerichts- und Anwaltskosten, Schadenersatz und Schmerzensgeld für Geschädigte auf. Lauterbach findet nun, es wäre „auf jeden Fall wertvoll“, wenn sich Firmen beteiligen würden. Deren Gewinne seien „ja exorbitant gewesen“. Diese Meinung teilt sogar CDU-Gesundheitsexperte Sorge. Auch wenn die Hersteller juristisch vor Schadenersatz geschützt sein mögen, bleibe „moralisch eine besondere Verantwortung“. Allerdings gibt es keinerlei Anzeichen, dass sich die Unternehmen darauf einlassen. Was bedeutet: Jede gewonnene Klage gegen Bion tech und Co. müsste letztlich mit Steuergeld bezahlt werden, weil der Hersteller sich das Geld vom Staat zurückholt. Oder, wie es Anwalt Ulbrich ausdrückt: „Impfgeschädigte werden von dem Bundes verdienst kreuz träger und Bion tech-Milliardär Sahin im Regen stehen gelassen“. Wohl Anfang Juli beginnt in Frankfurt am Main der erste Zivilprozess gegen Bion tech – eine 57-Jährige klagt wegen eines Herz schadens. Bion tech selbst betont, dass man in keinem bisher geprüften Fall einen „kausalen Zusammenhang“ zwischen Impfung und Gesundheitsschäden habe nachweisen können. FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Hintergrund Symptome wie bei Long Covid So schlecht es um die Datenlage bestellt ist, so schlecht sieht es bei den Behandlungsmöglichkeiten für Impfgeschädigte aus. Die bisherigen zwei Anlaufstellen für Patienten mit Verdacht auf Post Vac, das Universitätsklinikum Marburg sowie die Charité in Berlin, sind überlaufen. Die spezielle Ambulanz in Marburg wird von Professor Bernhard Schieffer geleitet. Die Hilfesuchenden beschreibt er in der Mehrzahl als jüngere Frauen mit Vorerkrankungen, etwa mit Allergien, Schuppenflechte sowie Rheumaoder Darmerkrankungen. Er verweist auf die Ähnlichkeit der Symptome von Post Vac, also langfristigen Folgen der Impfung, und Long Covid, also langfristigen Folgen nach der Infektion. Weshalb man in der Wissenschaft Post-Vac-Fälle gern als „Long Covid nach Impfung“ bezeichnet. Allerdings fehlt für beide Krankheitsbilder noch immer eine genaue Definition. In Marburg werden etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Bewegungsstörungen registriert. Aber auch schwere Nebenwirkungen wie Hirnvenenthrombosen, Lähmungserscheinungen, Herzbeutelentzündungen oder chronische Erschöpfungszustände könnten in sehr seltenen Fällen nach der Impfung auftreten. Bei den Vektor impfstoffen von Astra zeneca und Johnson & Johnson waren in erster Linie Thrombosen das Problem. Bei den mRNA-Impfstoffen von Bion tech und Moderna fielen insbesondere Herzmuskelentzündung und Entzündungen des Herzbeutels auf. Anders als bei direkten Impfreaktionen, wie Schmerzen an der Einstichstelle oder Fieber, kommen laut Schieffer die Symptome bei Post Vac meist erst zwei bis drei Wochen nach der Impfung zum Vorschein. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, ein Programm auflegen zu wollen, um Betroffene von Long Covid wie von Post Vac besser erkennen und behandeln zu können. Das Problem dabei ist aber offenbar die Finanzierung. Noch im Januar hatte der Minister von 100 Millionen Euro für die Erforschung der Krankheitsbilder sowie für Therapien und Reha- Maßnahmen gesprochen. Diese Summe hat er nicht noch einmal wiederholt. Sein Problem ist angesichts der Haushaltslage, überhaupt noch Geld dafür aufzutreiben. Hajo Zenker Konzentrationsprobleme, lang anhaltende Kopfschmerzen: Symptome von Long Covid und Impfschäden sind ähnlich. ZAHL DES TAGES 80 Prozent mehr Asylanträge als im Vorjahreszeitraum sind im ersten Quartal 2023 in Deutschland gestellt worden. Das meldet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Demnach stellten von Januar bis März dieses Jahres 87 777 Menschen einen Asylantrag. Dabei handele es sich um 80 978 Erstanträge und 6799 Folgeanträge, hieß es beim Bamf. dpa Myanmar Entsetzen nach Luftangriff Naypyidaw. Nach einem Luftangriff auf ein Dorf in Myanmar herrscht Entsetzen in dem Krisenland. „Wir können nicht genau sagen, wie viele Tote es sind, aber es sind mindestens 90 oder 100“, sagte am Mittwoch ein Augenzeuge, der die Gemeinde Pazigyi nach dem Angriff erreicht hatte. Das Militär hatte Raketen auf den Ort abgefeuert, als dort eine Eröffnungszeremonie für ein neues Büro der regierungsfeindlichen Volksverteidigungskräfte abgehalten wurde. dpa Gemeinsam gegen Migration Die Regierungen der USA, Kolumbiens und Panamas wollen gemeinsam gegen die illegale Migration durch den Darién-Dschungel vorgehen. Unzählige Migranten suchen letztlich den Weg zur US-Grenze (Bild). Foto: Rebecca Noble/afp Israel Tempelberg für Juden gesperrt Jerusalem. Nach den jüngsten Ausschreitungen und angesichts der angespannten Sicherheitslage dürfen Juden bis zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan den Jerusalemer Tempelberg (Haram al-Scharif) nicht mehr besuchen. Damit soll eine weitere Gewalteskalation verhindert werden. Der Ramadan endet in diesem Jahr ab 21. April. Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, nannte die Entscheidung einen „ernsten Fehler“. kna Russland Alexej Nawalny schwer erkrankt Moskau. Der in Russland inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny ist Aussagen seines Anwalts zufolge erneut schwer erkrankt. Wegen der heftigen Magenschmerzen habe ein Notarzt ins Straflager gerufen werden müssen, schrieb Wadim Kobsew auf Twitter: „Eine unbekannte Krankheit, die niemand behandelt.“ Er schließe nicht aus, dass Nawalny, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit einem Nervengift überlebte, nun erneut gezielt krank gemacht werde. dpa
Laden...
Laden...
Laden...
© NPG DIGITAL GMBH 2018
AGB ▪ Datenschutz ▪ Mediadaten ▪ Impressum