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Heidenheimer Zeitung, 22.07.2020

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2 THEMEN DES TAGES /

2 THEMEN DES TAGES / POLITIK Karikatur: Klaus Stuttman Der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende ihrer gemeinsamen Video-Pressekonferenz zum EU-Gipfel. Foto: John Thys/Pool/afp Leitartikel Ellen Hasenkamp zum Ergebnis des EU-Gipfels Die A-Note zählt Kommentar Dorothee Torebko zur Unfallstatistik im Straßenverkehr Kein Allheilmittel Schön anzusehen war es nicht, was die europäischen Staats- und Regierungschefs in den vergangenen Tagen in Brüssel aufgeführt haben. Gäbe es bei EU-Gipfeln eine B-Note, fiele sie mies aus: Es wurde verzögert, blockiert und gedroht, es gab Frust und Streit, es drohten Abbruch und Blamage. Hinter den vielen blau-gelben Europafahnen blitzte auch diesmal nationaler Egoismus durch. Aber – und das ist das Entscheidende: die A-Note stimmt. Europa hat seine Corona-Prüfung bestanden. 27 Länder so verschieden wie Schweden oder Spanien, Polen oder Portugal haben sich auf einen gemeinsamen Finanzplan für die nächsten Jahre verständigt, ein Tableau von immerhin rund 1,8 Billionen Euro. Und trotz allen Gefeilsches liegt dem die Idee der europäischen Solidarität zugrunde: Die Stärkeren helfen den Schwächeren, auf dass es der EU als Ganzes besser gehe. Das ist nicht nur wichtig für die interne Stabilität der Union, die vom Euro-Drama über die Flüchtlingskrise bis zum Brexit in den letzten Jahren eine Reihe von Erschütterungen ausbalancieren musste. Es ist auch wichtig als Signal nach außen: Europa will ein Machtfaktor bleiben auf der Welt, und das geht nur, wenn es zusammenhält. Die Leuchtkraft des Signals allerdings hat durch den mühsamen Einigungsprozesses gelitten. Und es gibt weitere Makel: Der vielbeschworene Umbau des mehrjährigen Haushaltsrahmens, der mit über eine Billion Euro immerhin den Großteil des Finanzpakets ausmacht, fällt aus. Statt wie geplant Milliarden aus den alten Agrar- und Regionaltöpfen in Zukunftsbudgets wie Klimaschutz und Forschung umzuschichten, bleibt im EU-Haushalt bis 2027 fast alles beim Alten. Dass dies teilweise durch die Struktur der Corona-Fonds ausgeglichen werden soll, ist ein schwacher Trost: Spätestens in sieben Jahren muss die EU ihren nächsten Haushaltsplan auf völlig veralteten und geschwächten Strukturen aufbauen. Es könnte sich dann rächen, dass diesmal ausdrücklich keine Halbzeitüberprüfung vereinbart wurde. Wer aber kann schon jetzt sagen, mit welchen Herausforderungen es Europa Mitte oder gar Ende dieses Jahrzehnts wirklich zu tun hat? Und auch das Rechtsstaatlichkeitsprinzip, das die Auszahlung von EU-Geld an die Einhaltung demokratischer Spielregeln knüpfen sollte, fiel schwächer aus als wünschenswert. Das Gipfelergebnis ist auch wichtig als Signal nach außen: Europa will ein Machtfaktor bleiben All diese Schwachpunkte sollten aber nicht vergessen lassen, welch fundamentale Neuerung nun von allen EU-Staaten einschließlich der berühmten „Sparsamen Fünf“ vereinbart wurde. Zu Recht fällt der Begriff „historisch“: Erstmals nimmt die Union gemeinsame Schulden auf, erstmals werden europäische Hilfen nicht nur als Kredite, sondern auch als Zuschüsse vergeben. Die Empfänger stehen ihrerseits allerdings in der Pflicht, das Geld der Steuerzahler verantwortungsvoll auszugeben. Die EU wiederum ist angehalten, ihre Entscheidungs- und Kontrollmechanismen zu reformieren. Nötig ist vor allem eine bessere Koordination in den Bereichen Wirtschaft, Steuern und Finanzen. Womöglich klappt es in Zukunft dann auch mit der B-Note. leitartikel@swp.de Zu schnelles Fahren ist immer noch eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle auf deutschen Straßen. Wegen überhöhter Geschwindigkeit starben im vergangenen Jahr 963 Menschen. So wenige wie noch nie. Das hat damit zu tun, dass die Autos immer sicherer werden und es etwa auf Autobahnen immer mehr Baustellen gibt, wo das Tempo angepasst werden muss. Dennoch: 963 Menschen sind 963 Tote zu viel. Würde da ein Tempolimit helfen? Ja, es würde die Zahl reduzieren. Aber nicht wesentlich. Denn von den 963 sind 175 Menschen gestorben, weil einer der Unfallbeteiligten das vorgegebene Tempolimit überschritt. Die überwiegende Mehrheit verunglückte also, weil einer der Verkehrsteilnehmer seine Geschwindigkeit nicht an die Gegebenheiten anpasste. Heißt: Es war nass oder nebelig und statt auf der Landstraße auf 60 km/h zu reduzieren, nahm der Autofahrer die Kurve mit 80 km/h. Hierbei hilft kein Tempolimit, sondern schlichtweg Vernunft. Der Versuch der Bundesregierung, die Unvernünftigen mit härteren Strafen zu einem Sinneswandel zu bewegen, ist allerdings schief gegangen. Mit den Formfehlern in seiner Reform der Straßenverkehrsordnung sorgte Verkehrsminister Andreas Scheuer für maximales Chaos. Das Gesetz ist juristisch anfechtbar, und es wurden Tausende Führerscheine unberechtigterweise eingezogen. Die Reform ist nach der Pkw-Maut das nächste große Desaster in Scheuers Karriere. Der Trend zu weniger Verkehrstoten dürfte sich fortsetzen. Das wird aber weniger mit der Reform der Straßenverkehrsordnung zu tun haben, als vielmehr mit moderneren Autos, die das Tempo automatisch anpassen und den Fahrer vor Gefahren warnen. Zähe Gespräche 91 Stunden und 20 Min. dauerte der EU-Gipfel 25 Minuten fehlten, um den Rekord des bisher längsten EU-Gipfels in Nizza einzustellen Einigung nach langem Ringen EU-Gipfel Nach fünf Tagen Verhandlungen gibt es eine Lösung für die Corona-Hilfen und den Haushalt ab 2021. Kanzlerin Merkel muss Zugeständnisse machen. Von Christian Kerl und Dieter Keller Der Kanzlerin sah man die Erleichterung nach der letzten harten Verhandlungsnacht an. „Wir haben uns zum Schluss zusammengerauft“, sagte Angela Merkel im Brüsseler Ratsgebäude kurz nach sechs Uhr morgens zufrieden. Europa habe gezeigt, dass es „doch gemeinsam handeln kann“. Das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket mit dem Corona-Aufbaufonds sei ein „wichtiges Signal über Europa hinaus“. Aber welches Signal sendet die Einigung nach Deutschland? Was kommt jetzt auf uns zu? Die Bilanz fällt gemischt aus – Deutschland wird in vielerlei Hinsicht von der Einigung und dem europäischen Aufbauprogramm profitieren. Es zahlt aber auch einen größeren Teil der Rechnung. Um 05.40 Uhr am Dienstagmorgen beendeten die 27 Staatsund Regierungschefs ihre Beratungen. Sie hatten seit Freitagnachmittag zusammengesessen. GRAFIK SCHERER / QELLE: DPA Corona-Aufbaufonds Volumen Es bleibt bei 750 Milliarden Euro für ein Konjuktur- und Wachstumsprogramm. Davon werden allerdings nicht 500 Milliarden Euro als Zuschüsse gezahlt, wie Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gefordert hatten, sondern nur 390 Milliarden Euro. Entsprechend steigt der Anteil der Kredite auf 360 Milliarden Euro. 70 Prozent der Mittel sollen 2021 und 2022 ausgegeben werden, der Rest 2023. Die Verteilung richtet sich vor allem danach, wie stark die Wirtschaftsleistung 2020 und 2021 schrumpft. Für Nettozahler, besonders für Deutschland, wird die EU-Mitgliedschaft teuer. Gabriel Felbermayr IfW-Wirtschaftsforscher Die Staaten müssen Pläne für die Verwendung vorlegen. Die EU-Kommission prüft sie innerhalb von zwei Monaten, die EU-Regierungen müssen mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Auch die Zuschüsse werden zunächst auf Pump finanziert, wofür die EU erstmals eigene Kredite aufnimmt. Sie sollen von 2027 bis 2058 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Mehr Geld aus Deutschland Die Bundesrepublik trägt als größter und wirtschaftsstärkster EU-Staat einen relativ großen Teil der Lasten: Berlin steht für knapp 100 Milliarden Euro der schuldenfinanzierten Zuschüsse und bürgt zudem für ein Viertel der Milliarden-Kredite, also für etwa 90 Milliarden Euro. Aus dem Aufbaufonds kann die Bundesrepublik gleichzeitig nur einen Betrag von knapp 30 Milliarden Euro erwarten. Das sind die Schätzungen von Experten in Brüssel. Genaue Zahlen gibt es noch nicht. Die Kommission rechnet noch. „Für die Nettozahler, besonders für Deutschland, wird die EU-Mitgliedschaft teuer“, meinte der Kieler IfW-Wirtschaftsforscher Gabriel Felbermayr. Hilfen für Deutschland Die Mittel für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen in Nordrhein-Westfalen und Ostdeutschland wurden zusammengestrichen: Statt der geplanten 5,15 Milliarden Euro dürften es am Ende zwei bis drei Milliarden Euro weniger werden. Dafür holte Merkel noch 1,3 Milliarden Euro im EU-Haushalt bis 2027 heraus: Die eine Hälfte fließt in ostdeutsche Regionen, um „Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern“, die andere ist für die ländliche Entwicklung vorgesehen. EU-Haushalt 2021 bis 2027 Volumen Zusammen mit dem Aufbaufonds einigten sich die Staatsund Regierungschefs auch auf den Haushalt von 2021 bis 2027. Mit insgesamt 1074 Milliarden Euro fällt er etwas kleiner aus, als die Kommission geplant hatte. Deutscher Anteil Die Kanzlerin sicherte sich einen Beitragsrabatt. Er soll die Zahlungspflicht um jährlich 3,6 Milliarden Euro senken. Dennoch muss die Bundesrepublik ab 2021 jährlich etwa 40 Milliarden Euro nach Brüssel überweisen, schätzt das Bundesfinanzministerium. Das wären gut zehn Milliarden Euro mehr als bisher, weil der Anteil von Großbritannien finanziert werden muss, der durch den Brexit wegfällt. Netto wäre der Betrag wohl nur etwa halb so hoch, weil Deutschland auch Fördermittel von der EU erhält. Das dürfte Minister Olaf Schulz (SPD) wenig schrecken: Etwa so viel hatte er schon in der mittelfristigen Finanzplanung eingestellt. Erstmals muss er den höheren Betrag beim Bundeshaushalt 2021 berücksichtigen, dessen Entwurf er im September >

Mittwoch, 22. Juli 2020 3 Kanzlerin Angela Merkel nach 91 Stunden Verhandlungen bei der Abschluss-Pressekonferenz des EU-Gipfels. Foto: John Thys/Pool/afp >> vorlegen will. Wie viel Deutschland überweisen muss, hängt auch davon ab, ob und wie viele eigene Steuereinnahmen die EU bekommt. Neue Einnahmequellen Schon ab 1. Januar 2021 soll eine Plastikabgabe eingeführt werden: Je Kilogramm nicht verwertbaren Kunststoffs müssen die Mitgliedsstaaten 80 Cent an die EU-Kasse überweisen. Die EU-Kommission rechnet vorsichtig mit jährlichen Einnahmen von drei Milliarden Euro. Dies würde zunächst nur die Haushalte der Mitgliedstaaten belasten, nicht die Verbraucher. Doch wird damit gerechnet, dass letztlich sie zahlen müssen. Für Merkel ist dies der „Einstieg in neue Eigenmittel der EU“. Die Kommission wirbt für ein ganzes Bündel neuer Steuern, das zusammen bis zu 40 Milliarden Euro im Jahr bringen könnte. Damit soll der Schuldenberg des Wiederaufbaufonds abgetragen werden. Gedacht ist an eine Digitalsteuer, die große Internetkonzerne belasten würde, die in Europa bislang wenig oder gar keine Steuern zahlen. Zudem will die EU die Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte vorantreiben. Ab 2023 könnte eine Klimaabgabe auf Importwaren aus Drittstaaten mit niedrigeren Klimaschutzstandards eingeführt werden. Flugzeuge und Schiffe könnten in den CO 2 -Emissionshandel einbezogen werden. Ob das alles tatsächlich kommt, ist völlig offen. Deutschland gewinnt Unabhängig von der Schuldentilgung ist für die meisten Experten unbestritten: Die Bundesrepublik profitiert. Eine Stärkung des Binnenmarktes kräftige auch die deutsche Volkswirtschaft, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Schließlich seien die EU-Länder die wichtigsten Handelspartner. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht Deutschland wegen seiner großen Exportabhängigkeit als „großen Gewinner des beschlossenen Programms“. Nur in einem wirtschaftlich und politisch stark integrierten Europa könne das handelsbasierte Wirtschaftsmodell Deutschlands überleben. Die Gewinner und Verlierer des Gipfel-Machtkampfs Strategie Vier Tage und Nächte haben die Regierungschefs verhandelt. Das Resultat dürfte nicht allen gefallen. Von Christian Kerl Beim EU-Gipfel haben die Regierungschefs rekordverdächtig lange und ungewöhnlich hart verhandelt. Zufrieden äußerten sich danach die meisten Teilnehmer, fast bei allen herrschte Erleichterung. Doch wer kann sich bei diesem Ringen wirklich als Gewinner fühlen, wer hat verloren? Gewinner: Der niederländische Premier Mark Rutte und seine Kollegen von der Gruppe der „Sparsamen Fünf“ gehen als Sieger vom Platz – gegen ihre brutale Blockadedrohung war der Gipfel wegen der erforderlichen Einstimmigkeit machtlos. Rutte & Co. haben nicht nur erreicht, dass sie über den Aufbaufonds weniger Geld für Zuschüsse an andere EU-Staaten bereitstellen müssen – der Aufbauplan umfasst jetzt nur noch 390 Milliarden Euro Zuschüsse statt 500 Milliarden, dafür steigt das Angebot an weit weniger reizvollen Krediten auf 360 Milliarden Euro. Die „Sparsamen Fünf“ haben auch für ihre Haushalte noch diverse Extras herausgehandelt: Die Beitragsrabatte für Dänemark, Schweden, Niederlande und Österreich wurden während der Verhandlungen gleich zweimal angehoben; bei der zweiten Run- Mark Rutte Foto: Robin Utrecht/anp/ afp de verzichtete die Kanzlerin auf weitere Rabatte für Deutschland. Auch der ungarische Premier Viktor Orban triumphierte: Er konnte mit seiner Vetodrohung wie erwartet verhindern, dass im EU-Haushalt ein wirksamer Sanktionsmechanismus installiert wird, mit dem einzelnen Mitgliedstaaten bei Rechtsstaatsverstößen EU-Gelder gekürzt werden können. Zwar ist eine solche Möglichkeit im Beschluss enthalten, doch ließ sich der Gipfel notgedrungen auf Formulierungen ein, mit denen es in der Praxis kaum jemals zu einer solchen Geldstrafe kommen wird. Zwischen Top und Flop Mark Rutte, der niederländische Premier, und seine Kollegen der Gruppe der „Sparsamen Fünf“ zählen zu den Siegern. Rutte sprach von einem „guten Paket, durch das die niederländischen Interessen gewahrt bleiben.“ Ihm sei es wichtig, dass Länder „auf Reformen festgenagelt werden können“. Weniger gut lief der Gipfel für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Ihr fehlt für wichtige Vorhaben Geld. Im Parlament beklagten viele Abgeordnete die Kürzung als falsch. Sie kündigten eine „neue Schlacht“ an, weil das Parlament ein Vetorecht beim Sieben-Jahres-Budget hat. Gewinner trotz Verlusten: Italiens Premier Guiseppe Conte ist ein Verlierer: Sein Land muss auf vier Milliarden Euro an Zuschüssen verzichten, die eingeplant waren. Sein spanischer Kollege Pedro Sanchez muss fünf Milliarden abschreiben. Auch die Kontrollen werden strenger. Im zähen Kampf mit den „Sparsamen Fünf“ mussten die Südeuropäer also einstecken. Doch die Verluste halten sich in Grenzen, werden durch einen höheren Kreditanteil ausgeglichen. Allein auf Italien und Spanien entfällt nun fast die Hälfte des Aufbaufonds. „Wir sind zufrieden“, sagt Conte. Er habe das Ziel erreicht, die Würde seines Landes zu bewahren – Versuche, anderen Mitgliedstaaten ein endgültiges Vetorecht bei Auszahlungen zu geben, hat der Premier abgewehrt. Sanchez sagt, er sei zu „95 Prozent“ zufrieden. Verlierer: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte aus ihrem Ärger wenig Hehl. Die Einigung sei sicher ein „historischer Schritt“ – aber bedauerlicherweise gebe es dafür „weitreichende Änderungen“ an den Plänen der Kommission. Von der Leyen, die ständig an den Verhandlungen teilgenommen hatte, gehört zu den großen Verlierern: Sie kann dank Rutte & Co. in den nächsten drei Jahren 110 Milliarden Euro weniger an Zuschüssen aus dem Aufbaufonds verteilen, als sie wollte. Auch im Sieben-Jahres-Budget wurde zuletzt noch kräftig gekürzt. Der EU-Haushalt ist längst nicht so modern wie erhofft. Ausgerechnet bei Themen wie Gesundheit, Forschung, Digitalisierung, Klimaschutz oder Migration gibt es Kürzungen, Schwerpunkt bleiben die Agrarund die herkömmliche Strukturpolitik. Früheren Ankündigungen von der Leyens fehlt nun der finanzielle Unterbau. Ursula von der Leyen Foto: Ludovic Marin/ afp Die Mär vom reichen Süden Vermögen Spanier und Italiener besitzen im Schnitt mehr Immobilien als die Deutschen. Aber wohlhabender sind sie deshalb nicht. Hintergrund Hürde Nummer zwei Berlin. Spanien und Italien sind Hauptprofiteure des EU-Kompromisses zum Corona-Hilfspaket. Sind die Menschen in diesen beiden Ländern aber tatsächlich hilfebedürftig? Da in diesen beiden Südländern die Quote der Immobilienbesitzer viel höher ist als in Deutschland, sind viele Bundesbürger der Meinung, dass die Menschen dort die Milliarden der EU eigentlich gar nicht nötig hätten. Was dabei nicht bedacht wird: Die Zahl der Immobilienbesitzer sagt nur wenig über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Menschen in einem Land aus. Doch zunächst ein Überblick über die Besitzverhältnisse: Immobilienbesitz ist in den Südländern tatsächlich viel verbreiteter als hierzulande. So besaßen im Jahr 2018 laut dem Bundesamt für Statistik 76,3 Prozent der Spanier und 72,4 Prozent der Italiener eine Wohnung oder ein Haus. Der Grund dafür reicht zum Beispiel in Spanien bis in die Zeit des Diktators Franco zurück, der den Kauf von Wohnungen staatlich fördern ließ. Immobilienbesitz galt in dem Land lange Zeit als die sicherste Geldanlage. Hinzu kommt, dass in Spanien wie in Italien an Mietwohnungen kaum heranzukommen ist. Bei den Bundesbürgern betrug der Anteil von Immobilienbesitzern im Erhebungszeitraum nur 51,5 Prozent. Besonders in Großstädten wie Berlin leben die meisten Menschen in Mietwohnungen. Eine geringere Eigentumsquote gibt es europaweit nur in der Schweiz, wo im Jahr 2018 nur 42,5 Prozent eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus besaßen. Im EU-Durchschnitt waren es 69,3 Prozent. Beim Brutto-Haushaltseinkommen liegt Deutschland dagegen mit 3380 Euro deutlich vor Ita lien (2585 Euro) und Spanien (2102 Euro). Spitzenreiter sind hier die Dänen mit 4664 Euro. Höhe der Einkommen sagt mehr über Wohlstand aus als Immobilienbesitz. Aber genau diese Einkommensverhältnisse sind es, in denen Ökonomen den wahren Gradmesser für Wohlstand sehen. Die Immobilienpreise schwanken nämlich stark und sind in den Südländern seit der Eurokrise vor zehn Jahren dramatisch gesunken. Werteberechnungen, die nicht auf dem neuesten Stand sind, besitzen von daher kaum Aussagekraft. Wäre das Eigentum an Immobilien der entscheidende Indikator für Wohlstand, müssten die Rumänen mit einer Immobilienbesitzquote von 96,4 Prozent europaweit ganz vorne liegen. Bei den Haushaltseinkommen sind sie aber mit im Schnitt 527 Euro Vorletzter vor Bulga rien mit 436 Euro. Michael Gabel Von einem „historischen Tag“ war die Rede, einem „guten Paket“ und einem „wichtigen Signal“: Während die EU-Staats- und Regierungschefs naturgemäß das Ergebnis ihrer nächtelangen Arbeit lobten, fiel die Reaktion im Europaparlament weit nüchterner aus. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber wollte dem Ganzen nicht mal den Status eines Beschlusses zuerkennen, sondern nannte den Deal der 27 Mitgliedstaaten gerade mal ein „Verhandlungsmandat“. Und tatsächlich ist nach der Diskussion vor der Diskussion. Über den auf dem Gipfel vereinbarten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) von gut einer Billion Euro darf das EU-Parlament mitentscheiden. Bereits für Donnerstag ist eine Sondersitzung geplant, bis dahin soll auch eine Resolution ausgearbeitet werden. Die eigentlichen Verhandlungen beginnen danach, mit einer abschließenden Abstimmung ist erst im Herbst zu rechnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte „sehr schwierige Diskussionen“ voraus. Sie dürfte recht behalten. Von den Abgeordneten gab es umgehend Kritik an den Gipfel-Vereinbarungen. Ferber beispielsweise sprach von einem „Sammelsurium“ von Kompromissen: „Jeder Mitgliedstaat hat ein ‚Zuckerl‘ für die Heimfahrt in die Hauptstädte bekommen, aber wer das Ganze als großen Wurf verkauft, lügt sich in die eigene Tasche.“ Die Haushalts-Verhandlungsgruppe des Parlaments, in der die verschiedenen Fraktionen vertreten sind, lobte zwar, dass es überhaupt eine Einigung gegeben habe. Zugleich forderten die Parlamentarier aber konkrete Nachbesserungen. „Wir werden das als Europäisches Parlament nicht einfach hinnehmen“, stellte der deutsche Verhandlungsführer Rasmus Andresen (Grüne) klar. Er und seine Kollegen nannten es zudem „unannehmbar“, dass das EU-Budget insgesamt schrumpft und insbesondere die Zukunftsausgaben gekürzt würden. So sind für das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation na- Das Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg. Foto: Olivier Matthys/AP/dpa mens Horizont Europa statt ursprünglich einmal geplanter 100 Milliarden Euro nur noch rund 80 Milliarden Euro vorgesehen. Die Parlamentarier kritisierten zudem das Versäumnis, die Einnahmeseite der EU zu stärken. Besonders groß ist die Unzufriedenheit mit dem Rechtsstaatsmechanismus. Die Europapolitikerin Franziska Brantner (Grüne) sprach von einer „vertanen Chance“. Die Formulierung im Gipfelbeschluss sei „sehr schwach“. Noch gebe es aber die Chance, durch eine klare Vorgabe der EU-Kommission die Verknüpfung zwischen EU-Geld und Demokratie zu stärken. Dass das Gesamtpaket am EU-Parlament scheitert, ist bei aller Kritik eher unwahrscheinlich. Ellen Hasenkamp

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