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Heidenheimer Zeitung 19.5.2023

4 HINTERGRUND Freitag,

4 HINTERGRUND Freitag, 19. Mai 2023 In Dresden hat Sam Meffire Wurzeln. Hierher zieht es ihn immer wieder zurück. Foto: Dirk Sukow/Ullstein Verlag Als Betongesicht beschreibt Samuel Meffire sein Konterfei, das 1992 auf Tausenden Plakaten in der Republik verteilt hing. Ihm war beim Fotoshooting einfach nicht zum Lächeln zumute. Die Werbeleute wollten einen Sympathieträger. Doch sein Gesicht glich eher einer Kampfansage. „Ich bin ein Sachse“, schrieben die Leute der Werbeagentur darüber und machten den ersten afrodeutschen Polizisten Ostdeutschlands zum Werbestar. 30 Jahre später hängen wieder Werbeplakate. „Sam – ein Sachse“ lautet der Titel der ersten deutschen Disneyproduktion, die auf dem Bezahlsender Disney Plus gestartet ist. „Volkspolizist, Werbestar, Staatsfeind“, heißt die einfache Formel, die Meffires unglaubliches Leben schon im Trailer zusammenfasst. „Es ist ein typisch überlebensgroßes Disney- Drama geworden, nur dass diesmal Zauberer, Elfen und Feen fehlen“, sagt Meffire gelassen. „Mit Überzeichnungen kann ich leben, wenn dafür auch die deutsch-deutschen Ecken beschrieben werden, wo wir sonst nicht so gerne hinschauen“, sagt der Mann mit Boxer-Statur und Gestik und Sprache eines Intellektuellen. Meffire weiß, wie es ist, wenn über einen gesprochen wird. Wenn in TV-Reportagen so viel herausgeschnitten wird, dass von den Vorstellungen der Protagonisten nichts mehr übrig bleibt. Vielleicht hat er deshalb sein Leben selbst noch einmal aufgeschrieben und eine Biografie veröffentlicht. „Auch wenn ich so die verdrängten Dämonen wieder ans Licht lassen musste.“ Bittere Kindheit Inzwischen hat er gelernt, mit seinen Dämonen umzugehen. Wenn ihm alles zu viel zu werden droht, holt er ein Buch mit selbstgeschriebenen Sprüchen heraus. Eine Art Meditations-Mantra, mit dessen Hilfe er den „Quark auf meiner Festplatte im Gehirn“ löscht, oder zumindest ordnet. Die Unruhe, die er damit bekämpft, hat bei vielen depressiven Menschen ihren Ursprung in der Kindheit. Meffires Vater, der 1970 als Student nach Deutschland gekommen war, starb am Tag seiner Geburt nach einer schweren Vergiftung an multiplem Organversagen. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Der Sohn erklärt das mit seiner Theorie, dass es auch in der DDR Menschen gegeben hat, in deren Weltbild es nicht passte, dass eine schöne deutsche Frau einen dunkelhäutigen Hünen liebt und heiratet. „Rassenhass“ wird von der DDR-Staatsmacht nicht geduldet. Doch er entlädt sich im Sozialismus unterschwellig als leises Tuscheln und Zischen auf der Straße. Seine Mutter, die in der Kybernetik forscht und arbeitet, funktioniert nach Ein langer Weg Lebensgeschichte Samuel Meffire war der erste afrodeutsche Polizist in Sachsen. Dann wurde er kriminell, landete im Knast und berappelte sich wieder. Von einem, der aufstehen kann – und anderen heute dabei hilft. Von Maria Neuendorff dem Tod ihres Mannes im Alltag weiter. Doch am Abend, nach ein paar Drinks, verwandelt sie sich in eine bösartige Frau, die ihn und den älteren Bruder aus dem Bett holt und schlägt. Die Lektion, die Meffire damals lernt: „Du bist nirgends auf der Welt wirklich sicher. Du kannst niemandem vertrauen.“ Sein Bruder, schon vom Tod des Vaters traumatisiert, wird selbst gewalttätig und schmiert Hakenkreuze in den Waschraum der Berufsschule. Als er einen Mitschüler beinahe erschlägt, kommt der Jugendliche in den berüchtigten Stasi-Knast nach Bautzen. „Was in ihm nicht bereits ohnehin kaputt war, geht dort zu Bruch“, schreibt Meffire in seinem Buch. Er hat seinen Bruder, der nach der Haft für Devisen nach Westdeutschland ausgebürgert wurde, nie wieder gesehen. Meffire selbst funktioniert ähnlich wie die Mutter. Obwohl er von anderen Kindern in der Dresdener Plattenbausiedlung mit Steinen beworfen wird, beißt er sich durch und bringt stets gute Noten nach Hause. Er spielt im Fußballverein und kommt in den Kanu-Auswahlkader. Dann zerfällt das Land, und glatzköpfige Mobs zünden Asylantenheime an. „In der neuen Endzeit bewegen sich diese Mordbuben vollständig gelassen durch die Straßen und Viertel, ganz so, als sei die Stadt ihr persönlicher Safaripark“, beschreibt Meffire die Nachwendezeit. Er trainiert Karate gegen seine Angst. Dresden-Neustadt bezeichnet er rückblickend als urbanes Kampfgebiet, sich selbst als „wandelnde Zielscheibe.“ Nach 20 Uhr mit der Straßenbahn ins Kino zu fahren, wird zum „Russischen Roulette“. „Bordsteinbeißen“ nennt sich das Spiel, das die Springerstiefel-Träger gerne mit Menschen wie ihm oder jungen Punks spielen. Mehrfach wird er von der Polizei in letzter Minute gerettet. Als die Dresdener Polizei, von Abwanderung dezimiert, Quereinsteiger sucht, darf der gelernte Maurer, der sein Geld bis dato als Türsteher bei Konzerten der linken Szene verdient, studieren Rassenhass entlädt sich im Sozialismus unterschwellig. Als leises Tuscheln und Zischen. Ein ungewöhnliches Paar in den 70er-Jahren in der DDR: die Eltern von Sam Meffire. Foto: privat und wird Kripobeamter. Die Dresdener Polizei ist das erste Umfeld, in dem er keinen Rassismus spürt. „Da ging es einzig und alleine darum: Kann man sich aufeinander verlassen oder nicht.“ Das Foto für die sächsische Image- Kampagne, zu dem ihn eine Freundin überredet, macht ihn über Nacht zum Werbestar. Es ist die Zeit, in der in Kanada eine offizielle Warnung vor den neuen Bundesländern ausgesprochen wird: Kein Bürger schwarzer Hautfarbe soll nach Ostdeutschland reisen. Der sächsische Ministerpräsident nimmt Meffire mit zu Diskussionsrunden und in Talk-Shows. Doch was der Polizist wirklich über seine Arbeit auf der Straße denkt und über den bedrohten Bürgerfrieden, will keiner wissen. Auch nicht, dass Ganoven längst Kalaschnikows von den abziehenden Russen kaufen. Und Granaten. Und Sprengstoff. „Die Ministeriumsschranzen thronen in ihrem Palast, mit Blick auf die Elbe, und tun nichts. Außer zu leugnen, dass es ein Problem gibt.“ Mit einem Sicherheitsdienst will Meffire selbst für Ordnung sorgen. Doch als das nicht funktioniert, er seine Mitarbeiter nicht bezahlen kann, wird er kriminell. „Ich brauchte Geld. Scheitern war keine Option. Das hatte mir meine Mutter eingetrichtert“, erklärt Meffire. Im Auftrag eines Unterwelt-Bosses überfällt er einen Nachtklub. Auf eigene Rechnung ein älteres Ehepaar. Trotz Sturmhaube wird er schnell erkannt, gewarnt und flieht nach Frankreich. Dass der Vorzeigekollege der Dresdener Polizei nun den Staat Sachsen vorführt, kann dieser nicht auf sich sitzen lassen. Nach Meffire wird international gefahndet. „Staatsfeind Nummer 1“, titelt die Bild-Zeitung. Die Telefonzelle in Paris, von der aus er seine Freundin anruft, wird tagelang überwacht. Er flieht weiter in den Kongo, wo Bürgerkrieg herrscht, und stellt sich schließlich deutschen Behörden. Die zehn Jahre, die die Richter wegen schweren Raubes und räuberischer Erpressung verkünden, klingen für den 26-Jährigen wie ein Todesurteil. Damit die Unterwelt den Kronzeugen aufgrund seiner Aussagen nicht im Knast tötet, kommt er zwei Jahre lang in Isolationshaft. In gepanzerten Fahrzeugen wird er immer wieder spontan und unter strengster Geheimhaltung verlegt. Nicht nur mit der Beschreibung der Haftzeit legt Meffire einen erschütternden Seelenstriptease hin: Eindrücklich beschreibt er seine immer wieder aufkeimenden Selbstmordgedanken, die er schon seit seiner Kindheit kennt. „Doch hier war jetzt nicht mal eine Straßenbahn, vor die ich mich werfen konnte.“ Neuanfang im Rheinland Meffire überlebt, auch mithilfe eines guten Psychiaters in der JVA Waldheim. Als man ihn nach sieben Jahren vorzeitig entlässt, steht er vor dem Nichts. Er hat keine Wohnung, dafür Schulden. Die langjährige Liebe, an der er sich in seinen dunkelsten Stunden festgeklammert hat, ist nach New York gezogen. Meffire jobbt als Möbelpacker und Putzhilfe, Fitnesstrainer und später in der Jugendhilfe. Der Umgang mit schwerstkriminellen Jugendlichen, bei denen alle Maßnahmen zu versagen scheinen, setzt ihm nach 20 Jahren in der Sozialarbeit zu. „Ich merke, dass es mir immer schwerer fällt, die Schicksale zu verdauen. Deshalb muss ich in diesem Bereich jetzt kürzertreten.“ Samuel Meffire hat ganz und gar kein Betongesicht. Wenn er die Augen im Gespräch nicht gerade niederschlägt, um seine Gedanken zu sammeln und in poetische Worte zu kleiden, blickt er sein Gegenüber offen und freundlich an. „Wir müssen im Gespräch bleiben“, betont der 52-Jährige, wenn es um die heutigen gesellschaftlichen Krisen geht. Er selbst mag weder die Opferrolle, noch will er seine eigenen Taten kleinreden. „Ich will das, was ich getan habe, nicht mit dem Tod meines Vaters, den Schlägen meiner Mutter, den Neonazis oder manipulativen Politikern erklären.“ Er will nur versuchen, nicht in alte Fallen zu tappen. Dabei helfen ihm weiterhin Therapie und seine Familie. Mit seiner Frau und den zwei Töchtern lebt er heute im Rheinland. „Dort ist alles so fröhlich und bunt, dass die Menschen farbenblind sind“, schwärmt der Buchautor. Sachsen aber wird für ihn immer Heimat und Wurzel bleiben. „Dresden ist so unglaublich aufgeblüht. Und trotzdem gibt es immer noch so viele Menschen, die fühlen sich verletzt, gekränkt und zurückgesetzt. Das schwebt wie ein unsichtbares Gas über der Stadt“, findet Meffire. Er kann das verstehen. „Ich bin ja selbst ein Sachse.“ Info: „Ich, ein Sachse – Mein deutsch-deutsches Leben“ von Samuel Meffire und Lothar Kittstein ist im Ullstein Paperback Verlag erschienen. 400 Seiten, rund 20 Euro.

50 JAHRE MEHR ALS GÜNSTIG Unser Geburtstag, eure Party! Mehr Feiern Wir werden 50 – und das wollen wir natürlich gebührend feiern. Freu dich auf viele Jubiläums-Aktionen, Gewinnspiele und Überraschungen über die nächsten Wochen. Mehr Freude Mit dir an unserer Seite wird es die Party des Jahres. Lass uns gemeinsam die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft feiern. Mehr Lidl Mit gewohnt viel Frische, Qualität, und starken Eigenmarken wird es mehr als ein Geburtstag. Wie von Lidl gewohnt. Seit 50 Jahren mehr als günstig. Filial-Angebote: Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG, Bonfelder Str. 2, 74206 Bad Wimpfen. Namen und Anschrift der regional tätigen Unternehmen unter www.lidl.de/filialsuche oder 0800 4353361. Unser Unternehmen ist Bio-zertifiziert durch DE-ÖKO-006.

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