2 THEMEN DES TAGES / POLITIK Warum Maaßens Pläne der CDU auch helfen Konservative Der Chef der Werteunion will aus seinem Verein eine Partei machen. Konkurrenz also für die Christdemokraten. Doch für die Union hätte der Schritt zumindest einen klaren Vorteil. Leitartikel Jacqueline Westermann zur Bereinigungssitzung für den Bundeshaushalt 2024 Diesmal klüger? Jetzt geht es dann ganz schnell: Ende der Woche, so der Wille der Ampel-Parlamentarier, steht der Haushalt 2024. Einerseits könnte man sagen, na endlich, zwei Monate nach dem Verfassungsurteil wird das ja auch Zeit. Doch viel eher sollte man fragen: schon jetzt? Immerhin hat es selbst das Dreier-Sparbündnis aus Kanzler, Finanzminister und Wirtschaftsminister erst vor nicht einmal zwei Wochen geschafft, die Gesetzesentwürfe vorzulegen. Und die wirken wieder so hastig und fahrig zusammengeflickt, dass man die Haushälter dann doch fast anbetteln mag, sich mehr Zeit zu lassen, um alle theoretischen Optionen gründlich zu prüfen. Denn auch dieser Kompromiss scheint handwerklich alles andere als eine Glanzleistung zu sein. Die Erhöhung der Flugticketsteuer hat eine ursprünglich geplante Erhöhung der Kerosinsteuer ersetzt. Erst sollte die Kfz-Steuerausnahme für Landwirte fallen, jetzt bleibt sie doch. Der Agrardiesel spielt im Haushalt 2024 gar keine Rolle, nimmt aber derzeit den kompletten öffentlichen Raum ein. Schlimmer noch: Mit der Rückzahlung eines Teils von corona-kreditfinanzierten Zuschüssen an die Arbeitsagentur werden Haushaltslöcher gestopft, anstatt beispielsweise Kreditschulden zurückzuzahlen. Das wirft erneut gravierende verfassungsrechtliche Fragen auf. Und die Sozialverbände laufen Sturm, dass sie nicht wie bei Gesetzen sonst üblich zur geplanten Sanktionsverschärfung beim Bürgergeld angehört werden. An sich ist nichts gegen Sparmaßnahmen und Subventionsabbau einzuwenden. Durch eine gute Verteilung der generierten Mehreinnahmen könnte man nämlich auch die Betroffenen entlasten – ganz anders als man es jetzt mit dem kurzfristig verschobenen Klimageld nicht schafft. Kommentar Guido Bohsem zur Legalisierung von Cannabis Karikatur: Klaus Stuttmann Aber die Hauruck-Sparmaßnahmen stehen stattdessen zwei Wochen nach ihrem Vorschlag im Parlament und sollen in der Bereinigungssitzung also in Gesetzestext gemeißelt werden. Warum diese Hast? Schon klar, es herrscht weiter Krisenmodus, es müssen Entscheidungen getroffen werden, die Wirtschaft braucht Planungssicherheit eher gestern als heute, langes in der Luft hängen macht keinen Spaß und tut den Umfragewerten noch weniger gut. Eigentlich ist es Aufgabe des Haushaltsausschusses der Regierung, die roten Linien aufzuzeigen. Und dennoch: Ein bisschen mehr Zeit nehmen, um die Regierungspläne zu prüfen, Szenarien durchzuspielen, welcher Subventionsabbau wie wirken würden und zu Akzeptanz führen könnte. Denn eigentlich ist es Aufgabe des Haushaltsausschusses, die roten Linien aufzuzeigen. Das Parlament ist als Haushaltsgesetzgeber die Kontrollinstanz schlechthin – und der Ausschuss eins der wenigen Beispiele, wo die Parlamentsmacht im Vordergrund steht. Sodass in vergangenen Jahren respektvoll über Fraktionslinien hinweg, mit Teilen der Opposition, an den Schräubchen des Budgets gedreht wurde. Ob diese Zeit wirklich vorbei ist, wird sich am Freitagmorgen nach stundenlangen Verhandlungen in der Bereinigungssitzung zeigen, wenn die Chefhaushälter der Ampel womöglich eine Überraschung aus dem Ärmel zaubern und der Dreier-Sparrunde die Grenzen aufzeigen – oder eben nicht. leitartikel@swp.de Lieber gar nicht, als so Trotz des staatlichen Verbots hat sich das einst so verteufelte Rauschmittel Cannabis zu einem Allerweltsprodukt wie Alkohol gewandelt. Die stetig steigende Zahl der Konsumenten zeigt jedes Jahr eindrucksvoll, dass die bisherige Cannabis-Politik gescheitert ist. Und auch wer mit der Kifferei eigentlich nichts am Hut hat, dürfte die Argumente für eine Liberalisierung durchaus klar und nachvollziehbar finden: Würde Cannabis nun auch rechtlich wie Alkohol behandelt, könnte der Staat den Verkauf streng regulieren, die Jugend schützen, Qualitätsstandards durchsetzen und dauerhaft sehr hohe Steuereinnahmen erzielen. Darüber hinaus würden sowohl Polizei und Justizbehörden entlastet, die bekanntlich ja über zu wenig Personal und zu viel Arbeit klagen. Eine derartige Legalisierung trocknete schließlich einen lukrativen Geldfluss der organisierten internationalen Kriminalität mit einem Schlag aus. Klingt nach einer einfachen und guten Sache. Leider erreicht der hyperkomplizierte und bürokratische Gesetzesentwurf der Ampel all das nicht. Weder erzielt der Staat Mehreinnahmen, noch werden Polizei und Justiz entlastet. Die Bedingungen für die Abgabe sind so kompliziert und einschränkend, dass es auch nach der Legalisierung einfacher sein wird, sich das Zeug weiter im Park zu besorgen. Praktisch für die Dealer: sie dürften künftig die fünffache Menge einer üblichen Verkaufsportion (5 Gramm für 50 Euro) mit sich führen, ohne dass die Polizei etwas dagegen haben kann. Die SPD-Innenpolitiker sollten deshalb bei ihrer Blockade bleiben. Im Zweifel sollte gelten: Lieber keine Liberalisierung als so eine Liberalisierung. Hat eine Parteigründung im Blick: Hans- Georg Maaßen, Ex-Verfassungsschutz-Präsident, immer noch CDU-Mitglied und Chef der Werteunion. Foto: Martin Schutt/dpa STICHWORT GRUNDRECHTE Berlin. Mehr ökologische Produkte, weniger Fleisch – Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat am Mittwoch die neue Ernährungsstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Derzeit werde es Menschen vor allem in Kantinen schwergemacht, an gesundes und nachhaltiges Essen zu gelangen, sagte er. Zuerst soll die neue Ernährungsstrategie in den Kantinen der Bundeseinrichtungen umgesetzt werden, etwa bei der Bundeswehr und der Bundespolizei. Man wolle „die Vorbildfunktion der Kantinen bei den Dienststellen des Bundes nutzen“, heißt es dazu im Ernährungsplan. Der Speiseplan soll sich künftig an bestimmten Kriterien orientieren. „Ziel ist es, eine vielseitige Ernährung mit viel Gemüse und Obst“ sicherzustellen, betonte Özdemir. Der Ernährungsplan verweist auf die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Empfohlen werden als Zutaten für Haupt- und Nachspeise unter anderem „sai- Was ist die Grundrechtsverwirkung? Ein solcher Schritt nach Artikel 18 des Grundgesetzes soll die Demokratie in Deutschland vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen schützen. Beim Betroffenen muss ein aggressives, zielgerichtetes Tun zu erkennen sein, aktuell und in Zukunft die Demokratie in Deutschland zu bekämpfen und beseitigen zu wollen. Straftaten sind nicht erforderlich. Welche Konsequenzen kann es für Betroffene geben? Es gibt die Möglichkeit, jemandem das Recht zu entziehen, zu wählen, gewählt zu werden, öffentliche Ämter zu bekleiden oder an Versammlungen teilzunehmen. Wie läuft ein solches Verfahren ab? Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Verwirkung und ihr Ausmaß. Anträge können der Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung stellen. Es gab bisher vier Fälle, die aber alle schon im Vorverfahren scheiterten. dpa Jetzt Mitglied werden“, wirbt der erzkonservative Verein Werteunion auf seiner Homepage. Und schreibt sicherheitshalber gleich dazu: „Keine CDU/CSU Mitgliedschaft erforderlich“. Für Interessenten ist es offenbar ein Abschreckungsfaktor, wenn sie einer der beiden Unionsparteien beitreten müssten. Genau jenen Parteien also, denen sich die Werteunion nach eigener Darstellung „konstruktivkritisch, aber dennoch loyal“ verbunden fühlt. Mit der Loyalität soll es demnächst vorbei sein. Wenn es nach dem Vereinsvorsitzenden Hans- Georg Maaßen geht – Ex-Verfassungsschutz-Präsident und CDU- Mitglied –, wird aus der Werteunion bald eine eigene Partei. Am Samstag soll die Mitgliederversammlung in Erfurt darüber entscheiden. Maaßen hatte seine Pläne, die er eine „Abspaltung von CDU und CSU“ nennt, Anfang Januar öffentlich gemacht und sie unter anderem damit begründet, dass sich die CDU auch unter Parteichef Friedrich Merz nicht genug von Altkanzlerin Angela Merkel distanziere. Die neue Werteunion- Partei könnte Maaßen zufolge bereits bei den Landtagswahlen im September in drei ostdeutschen Ländern antreten. Organisatorisch ist der Verein im Gegensatz zum Bündnis Sahra Wagenknecht durch Gliederungen in allen 16 Bundesländern gut aufgestellt. Obwohl das für die CDU Konkurrenz von rechts bedeuten würde, wären sie dort über den Schritt nicht unglücklich. Denn son-regionales und am besten ökologisch erzeugtes Gemüse und Obst, ballaststoffreiche Getreideprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse“ sowie Mahlzeiten „mit weniger Zucker, gesättigten Fetten und Salz“. Fleischgerichte sollen weiter angeboten werden, auch wenn es in dem Papier heißt, dass „der Anteil von Fleisch“, an den Kantinengerichten derzeit „zu hoch“ sei. Appelle und Empfehlungen Auf Dauer solle die Ernährungsstrategie auch für Kitas und Schulen „verbindlich“ werden, betonte Özdemir. Das Problem dabei: Kitas und Schulen befinden sich – wenn sie nicht privat geführt sind – in der Regel in kommunaler Trägerschaft. Der Bund kann also keine Vorgaben machen, sondern nur appellieren. Für private Kantinen haben die Richtlinien der neuen Ernährungsstrategie keine unmittelbaren Auswirkungen. Auch dort gilt: Der Minister kann in erster Linie Empfehlungen abgeben. Wobei das CDU-Statut schließt „die Mitgliedschaft in einer anderen Partei“ aus. Der Fall Maaßen, der sich derzeit vor Parteigerichten gegen einen Rausschmiss aus der CDU wehrt, hätte sich damit erledigt. Rund 4000 Mitglieder Merz will dennoch weitere Vorkehrungen treffen. Nach der Vorstandsklausur in Heidelberg kündigte er einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Werteunion für den Parteitag im Mai an, was künftige Ausschlussverfahren erleichtern würde. „Parallelstrukturen“ außerhalb der CDU seien unnötig, so Merz. „Wer es anders meint, soll gehen.“ Die Werteunion hat nach eigenen Angaben rund 4000 Mitglieder, wie viele davon Mitglieder in Unionsparteien sind, ist unklar. Mit Blick auf das umstrittene Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam im November bestätigte die Werteunion inzwischen erstmals offiziell die Teilnahme von zwei Mitgliedern als „eingeladene Privatgäste“. Dort sei aber nur über „Rückführungsstrategien“ gesprochen worden, teilte der Verein mit, „die im Einklang mit deutschem und EU-Recht stehen“. Das Netzwerk Correctiv berichtete dagegen, es sei um die Vertreibung von Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland gegangen. Eine der beiden Teilnehmerinnen der Werteunion ist auch CDU-Mitglied, gegen sie wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Ellen Hasenkamp Schlechte Karten für Schnitzel Ernährung Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir will erreichen, dass die Kantinen des Landes gesündere Kost anbieten. Grundrechte Petition gegen Björn Höcke Berlin. Mehr als 1,2 Millionen Menschen unterstützen eine vom Netzwerk Campact organisierte Petition, in der gefordert wird, dass dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke Grundrechte wie das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Bekleidung öffentlicher Ämter entzogen werden. Nach Artikel 18 Grundgesetz ist das möglich, wenn die Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“ werden. epd Stichwort Özdemir sagte, er sei davon überzeugt, dass „gesunde, leckere und nachhaltige Angebote“ gut angenommen würden. „Als Politik ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es eine echte Wahl gibt.“ Der Plan des Ernährungsministers geht allerdings noch weiter. Özdemir hält an seinem Ziel fest, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt einzuschränken. Ein Gesetz dazu lässt allerdings weiter auf sich warten, weil vor allem die FDP auf der Bremse steht. Mit der Umstellung der Kantinenkost ist zudem „eine Stärkung der ökologischen Landwirtschaft“ geplant. Deren Anteil am gesamten Agrarbereich soll von heute elf Prozent auf 30 Prozent im Jahr 2030 steigen. Die Empfehlungen sollen nun auf vielfältige Weise kommuniziert werden. Erklärtes Ziel: „Bis 2050 ist es für alle Menschen in Deutschland möglich und einfach, sich gut zu ernähren.“ Michael Gabel Cannabis Warten auf die Legalisierung Berlin. Die SPD-Fraktion strebt weiterhin an, das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis „zeitnah“ im Bundestag zu verabschieden. „Daran halten wir fest“, sagte Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast. Eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte: „Aus unserer Sicht steht der Gesetzentwurf.“ Aus Bayern kam erneut der Appell, das Vorhaben doch noch zu stoppen, aber auch SPD-Innenpolitiker üben Kritik. dpa Kommentar
Donnerstag, 18. Januar 2024 3 Brennelementewechsel im Reaktor von Block C in Gundremmingen, als das Kraftwerk noch in Betrieb war. Seit zehn Monaten sind die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Dennoch reißt die Debatte über einen Fortbestand der Kernenergie hierzulande nicht ab. Ihre Nutzung müsse angesichts hoher Strompreise und steigenden Energiebedarfs eine Option bleiben, fordern etwa CDU und CSU. Doch wie realistisch ist dieses Szenario? Könnte man die Kraftwerke in Deutschland wieder hochfahren? Theoretisch wäre das noch bei mehreren Reaktoren möglich. „Technisch ist es durchaus möglich, so ein Kraftwerk auch wieder in Betrieb zu nehmen“, sagt Uwe Stoll, technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, einer gemeinnützigen technisch-wissenschaftlichen Forschungsorganisation. Am ehesten machbar erscheine dies bei den zuletzt abgeschalteten Kraftwerken Emsland, Neckarwestheim, Isar 2, Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C, erklärte der Kernenergietechniker gegenüber dieser Zeitung. „Ein Teil dieser Anlagen hat noch keine Stilllegungsgenehmigung, sodass relevante Rückbauarbeiten noch gar nicht beginnen konnten.“ Sollten Teile bereits ausgebaut sein, müssten sie neu beschafft werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch andere Experten, etwa das Energieberatungsunternehmen „Radiant Energy Group“, das für seine Analyse Vorstände und leitende Mitarbeiter von Betreibergesellschaften und Kerntechnikfirmen befragt hat. „Es wurden keine unüberwindbaren Kehrt der Atomstrom zurück? Energiesicherheit Immer wieder werden Forderungen laut, die stillgelegten Atomkraftwerke in Deutschland wieder hochzufahren. Aber ist das überhaupt möglich? Von Igor Steinle Was sagen die Betreiber? Für die Energiekonzerne ist das Thema Kernenergie erledigt. Es gebe kein Zurück mehr zur Atomkraft in Deutschland, sagte RWE-Chef Markus Krebber. Auch der Eon-Vorstandsvorsitzende Leonhard Birnbaum betonte in der Vergangenheit immer wieder, dass es sich in erster Linie um eine politische und nicht um eine technische Frage handele. „Kernkraft lässt sich in meinen Augen nur sinnvoll betreiben, wenn ein stabiler gesellschaftlicher Konsens vorherrscht“, sagt Stoll. Gerade für die Betreiber sei dies angesichts der hohen Investitionskosten und der Planungssicherheit die wesentliche Voraussetzung. „Diesen Konsens sehe ich zurzeit in Deutschland nicht.“ Hürden festgestellt“, heißt es in ihrem Bericht. Welche Hürden für eine erneute Inbetriebnahme gibt es? Je nach Stand des Rückbaus eines Kernkraftwerks kann der Aufwand sehr hoch sein. In allen Anlagen, in denen die Dekontamination mit einer Säure-Spülung bereits begonnen hat, müsse zunächst geklärt werden, ob durch die Prozedur bereits Schäden an Rohrleitungen, Armaturen oder Pumpen entstanden sind, die eine Wiederinbetriebnahme verhindern, erklärt die Kernenergie-Expertin Anna Veronika Wendland. Sie bezweifelt, dass das in Gundremmingen noch möglich ist: Zu viele Rohrleitungen seien hier bereits entfernt worden, sodass der Aufwand zu groß sei. Insgesamt sieht Stoll die größte technische Hürde im Fehlen der Brennelemente. Selbst die scheint aber überwindbar, da Brennstäbe innerhalb eines Jahres bestellt werden könnten. Insgesamt gehen die Kernenergie- Experten daher davon aus, dass es ein bis zwei Jahre dauern wird, bis die Reaktoren wieder Strom produzieren könnten. Dies hängt auch davon ab, wie umfangreich die Sicherheitsüberprüfungen ausfallen. Was würde das bringen? Die Kosten werden für fünf Kraftwerke auf insgesamt rund eine Milliarde Euro geschätzt. Dafür bekäme man auf einen Schlag eine Stromproduktion von 55 Terawattstunden, was etwa 40 Prozent der gesamten deutschen Windstromproduktion entspricht. Eine Wiederinbetriebnahme der Kernkraftwerke würde somit 140 Euro pro Kilowatt installierter Foto: Matthias Kessler Leistung kosten. Zum Vergleich: „Ein neuer Offshore-Windpark kostet rund 2400 bis 5000 Euro pro Kilowatt installierter Leistung, an Land sind es etwas über 1000 Euro pro Kilowatt“, so Wendland. Ob sich der Aufwand für die Betreiber lohnt, hängt stark davon ab, wie lange die Kraftwerke noch laufen würden. „In vielen Ländern beobachten wir Betriebsverlängerungen auf 60 Jahre, teilweise darüber hinaus“, sagt Stoll. Die deutschen Anlagen schnitten bei der Neutronenversprödung, also dem Verschleiß des Reaktordruckbehälters, im internationalen Vergleich dabei „sehr gut“ ab. Einer Laufzeit bis in die 2040er Jahre stünde daher technisch nichts im Wege, so die Experten. Gibt es noch genügend Fachkräfte? Das ist wohl eine der größten Herausforderungen, denn in den Unternehmen wurden Vorruhestände gewährt, junge Fachkräfte wandern ab, oft ins Ausland. „Erhalten bleiben in den Anlagen die Ingenieursstäbe, die Projektarbeiten für den Restbetrieb, den Rückbau, im Strahlenschutz und bei der Neuerrichtung von Rückbau-Infrastruktur übernehmen“, so Wendland. Zweifellos müsse neues Personal rekrutiert und ausgebildet werden. Auf ausländische Fachkräfte könne laut Stoll dabei nur schwer zurückgegriffen werden: Deutschkenntnisse müssten auf Muttersprachniveau vorliegen, um einen sicheren Betrieb der Anlage zu gewährleisten, da die umfangreichen Betriebshandbücher verstanden werden müssten und auch die fachlichen Prüfungen auf Deutsch stattfänden. FOTO: HANDOUT/EDF ENERGYAFP Hintergrund Ziel schwer erreichbar Immer mehr Länder entschließen sich, neue Kernkraftwerke zu bauen, unter ihnen Frankreich, Großbritannien, Schweden, Finnland, Südkorea und die USA. Auf der jüngsten Klimakonferenz in Dubai erklärten rund 20 Staaten und 120 Unternehmen, die Kernenergie bis 2050 verdreifachen zu wollen, um den Klimawandel einzudämmen. Anders als Deutschland, das auf Erdgas und perspektivisch Wasserstoff als Ergänzung zu Wind- und Sonnenenergie setzt, wollen diese Länder die nahezu CO 2 -freie Kernenergie als stets verfügbare Grundlast neben den erneuerbaren Energien für ihr Energiesystem der Zukunft nutzen. Ob das ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, wird jedoch weltweit bezweifelt. „Wenn die Länder dem derzeitigen Modell des Kraftwerksbaus folgen, werden sie das Ziel nicht erreichen“, warnt unter anderem der ehemalige US-Energieminister Ernest Moniz. Denn dafür müssten seiner Meinung nach bis 2050 jährlich rund 50 große Atomreaktoren gebaut werden – zwei Drittel mehr als zum Höhepunkt der Kernenergie in den 1980er Jahren. Zwar hätten China, Russland und Südkorea bewiesen, dass man Atomreaktoren auch effizient bauen könne. Vor allem in den westlichen Ländern explodieren die Kosten wegen komplizierter Regulierung und bei jüngsten Neubauten wie in Finnland und Frankreich auch wegen Managementfehlern. Damit Kernkraftwerke auch im Westen wieder schneller und günstiger gebaut werden können, braucht es laut Moniz eine neue Regulierung, die standardisierte Abläufe ermöglicht, sodass Reaktoren quasi in Serie gebaut werden können. Ein Problem ist beispielsweise, dass Kraftwerksbetreiber oft nicht auf den günstigsten Stahl zurückgreifen können, weil die Produktion aufwendigen und jahrelangen Zertifizierungsprozessen unterliegt. „Einige dieser Normen sind eindeutig gerechtfertigt“, erklärt Ted Nordhaus, Chef des kernkraftfreundlichen US-Umweltforschungsinstituts „Breakthrough Institute“. Aber an vielen Stellen außerhalb des Reaktors gebe es keinen Grund, warum Stahl höhere Anforderungen erfüllen müsse als etwa in einem Staudamm. Wenn die Gesetzgebung nicht an die neuen Anforderungen angepasst werde, bleibe das Dubai-Ziel ein leeres Versprechen, so Nordhaus. Igor Steinle Das im Bau befindliche Kernkraftwerk Hinkley Point in Großbritannien. ZAHL DES TAGES 20,1 Millionen Euro wert sind die Kriegswaffen, deren Export nach Israel die Bundesregierung im vergangenen Jahr genehmigt hat. Darunter waren 3000 tragbare Panzerabwehrwaffen sowie 500 000 Schuss Munition. Insgesamt genehmigte die Regierung 2023 Rüstungslieferungen für 326,5 Millionen Euro an Israel – zehnmal so viel wie im Vorjahr. dpa Belarus Neue Doktrin verabschiedet Minsk. Die eng mit Russland verbündete Ex-Sowjetrepublik Belarus hat in ihrer neuen Militärdoktrin den Einsatz von Atomwaffen festgeschrieben. Das teilte Verteidigungsminister Viktor Chrenin am Dienstag mit. Angesichts der neuen Bedrohungslage sei es nötig gewesen, die seit 2016 gültige Doktrin zu überarbeiten. Die Quellen militärischer Bedrohungen für das Land seien klar benannt worden. Konkrete Angaben zu einem Einsatz der Atomwaffen gab es nicht. dpa Nächste Runde vor Gericht Vorwahlsieg in Iowa und der nächste Gerichtstermin wegen Sexualdelikten in New York: Donald Trump erlebt Höhen und Tiefen. Diese Demonstranten in Manhattan wollen den Ex-Präsidenten hinter Gittern sehen. Foto: Angela Weiss/afp Iran Journalistinnen droht erneut Haft Teheran. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert ein Ende der gerichtlichen Schikanen des Iran gegen Nilufar Hamedi und Elahe Mohammadi. Die beiden Journalistinnen wurden nach 15 Monaten Haft gegen Kaution freigelassen. Weil sie auf Fotos ohne die im Iran verpflichtende Bedeckung der Haare zu sehen sind, drohe ihnen erneut Haft. Beide waren unter anderem wegen „Zusammenarbeit mit dem feindlichen Staat USA“ verurteilt worden. kna Russland Drei Wahllokale in den USA Moskau. Russland will für die geplante Präsidentenwahl im März für seine Bürger auch in den USA Wahllokale einrichten. „In den USA planen wir die Eröffnung von drei Wahllokalen: in unserer Botschaft in Washington sowie in unseren Konsulaten in New York und in Houston“, erklärte der russische US-Botschafter, Anatoli Antonow. Die russische Regierung lässt offen, ob auch Wahllokale in „unfreundlichen“ europäischen Ländern für die Abstimmung eröffnet werden. afp
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